In einer aufgeheizten Atmosphäre lehnte im italienischen Senat das regierende Mitte-rechts-Bündnis mit 180 zu 106 Stimmen den von der Linksopposition eingebrachten Misstrauensantrag gegen Innenminister Claudio Scajola wegen der Polizeiübergriffe in Genua ab. Senatspräsident Marcello Pera hatte große Mühe, die in persönliche Attacken ausufernde Diskussion unter Kontrolle zu halten. Im Namen der Regierung stellte sich der stellvertetende Regierungschef Gianfranco Fini hinter den Innenminister und rechtfertigte das Vorgehen der Polizei. Fini bezeichnete den Misstrauensantrag als üble politische Spekulation und wies energisch alle Vorwürfe zurück, in Genua hätten "chilenische Zustände" geherrscht. "Regierung will Lage aussitzen" Die gewalttätigen Demonstranten von Genua würden nicht nur von der außerparlamentarischen Opposition unterstützt, sondern verfügten auch innerhalb des Parlaments über Sympathisanten, sagte Fini unter dem Protest der kommunistischen Opposition. Der Sprecher des linken Ölbaum-Bündnisses, Willer Bordon, prangerte den Willen der Regierung an, die Lage auszusitzen. In jedem anderen europäischen Land sei nach ähnlichen Ausschreitungen ein Rücktritt des Innenministers unvermeidlich gewesen. In Genua haben man die Gewalttätigen gewähren lassen und die friedlichen Demonstranten verprügelt, so Bordon. Bereits vor der von tumultartigen Szenen überschatteten Sitzung hatten sich Regierung und Opposition auf die Einsetzung eines parlamentarischen Ermittlungsausschusses geeinigt, dem je 18 Mitglieder des Senats und der Abgeordnetenkammer angehören sollen. Auch Staatspräsident Carlo D’Azeglio Ciampi hatte eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle gefordert. Konsequenzen für die verantwortlichen Polizeichefs Unterdessen wurden in Rom bereits für Mittwoch erste Konsequenzen für die verantwortlichen Polizeichefs erwartet. Drei vom Innenministerium nach Genua entsandte Sonderinspektoren haben bereits drei Berichte über den Sturm der Polizei auf die Diaz-Schule, die Misshandlung der Verhafteten in der Kaserne von Bolzaneto und über das Gesamtverhalten und die Strategie der Polizei beim Gipfel von Genua vorgelegt. Darin werden Disziplinarmaßnahmen für den Polizeichef von Genua, Francesco Colucci, und den Chef der Antiterroreinheit, Arnaldo La Barbera, gefordert. La Barbera war Polizeichef in Rom, Neapel und Palermo und gilt als einer der einflussreichsten Köpfe der italienischen Polizei. Auch gegen andere Beamte sollen Strafverfahren eingeleitet werden. Die zuständigen Staatsanwälte, die über Gerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen zu befinden haben, setzten Mittwoch die Vernehmung der zuständigen Polizeichefs fort. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat eine unabhängige Kommission zur Untersuchung möglicher Menschenrechtsverletzungen gefordert. Der außenpolitische Sprecher der SPD im deutschen Bundestag, Gert Weisskirchen, will eine Delegation der OSZE nach Rom entsenden, um die Vorwürfe aufzuklären. Beim Filmfestival in Locarno werden am 12. August Videos von den Ereignissen in Genua gezeigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2001)