Eine ganz gute Frage, unauffällig, etwas jovial, fast maßgeschneidert. Und obwohl die Antwort nicht schwer zu erraten ist - gerade deshalb trifft sie den Kern. 372 Seiten lang liest man in Cameron Crowes Interviewband (Dianaverlag 2001), ohne selbst den Spaß oder die Geduld zu verlieren: Es hat Spaß gemacht. Einen jungen Italiener, der ihn am hellen Vormittag in Hollywood seiner Mutter vorstellt - "Mutter, das ist Bill Wilder" - unterbricht er nach dessen unverständlichem Redeschwall: "Wenn Sie mich im Fernsehen sehen, bin ich da." Über den frühen Stummfilm Menschen am Sonntag (zwei Männer vergewaltigen zwei Mädchen, während bei einem Profi-Tennisturnier die Köpfe der Zuschauer sich zwanghaft dem Ball nachbewegen) bemerkt er, fast 70 Jahre später: "Wir hatten viel Spaß." Und im Frühjahr 1998 fragte er an einem "nassen Nachmittag" (wie man in Hollywood die Vorstufen der Sintflut nennt) seinen Interviewpartner: "Haben Sie ein gutes Ende für das Ding?" Jetzt wird Billy Wilder 95. Sein Vater starb vorsichtshalber schon 1928, seine Mutter wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. In der extrem entgegengesetzten Erbarmungslosigkeit Hollywoods blühte Wilder auf. Er nennt Filme "pictures" und dazu gehören Some Like It Hot , The Apartment , Witness for the Prosecution , The Lost Weekend . Auf einem frühen Familienbild, aufgenommen in Krakau, steht er im karierten Mädchenkleid auf dem Tisch und schenkt dem Fotografen einen nur leicht skeptischen Blick. Sein Vater hebt leicht seinen linken Arm, seine Mutter sieht schräg über ihn hinweg. Sie stammte aus Novy Targ nahe Zakopane, hatte schon früh ein Faible für Buffalo Bill, ging kurz nach Amerika, blieb im Lift stecken und fuhr nach Galizien zurück. Sein Vater - Hersch Mendel, Maximilian genannt, zuvor Oberkellner - betrieb eine Kette von kleinen Bahnhofswirtschaften an der Strecke Wien-Krakau. Wilder wächst im vierstöckigen "Hotel City" mit Billardsaal und Karten- tischen auf und nimmt es schon mit vier Jahren im Billard mit den Stammgästen auf. An einem heißen Julitag unterbricht sein Vater im Cut einen Walzer von Franz von Suppé mit der Nachricht von Sarajewo. Schon 1916 fliehen die Wilders nach Wien, Max Wilder betreibt eine Forellenzucht, exportiert Lederhandtaschen und führt von 1920 bis 1922 das Bankgeschäft "Fränckel, Pytlah & Wilder" und übersiedelt nach Döbling. Aber noch immer holt sich Billy Quargel- und Brimsenkäse vom Greißler Treitl am Fleischmarkt. Aber sie gehören nicht dazu: Am 10. Dezember 1921 wird Billy Wilders Ansuchen um die österreichische Staatsbürgerschaft definitiv abgelehnt, weil er den Nachweis, nach Rasse und Sprache zur deutschen Mehrheit der Bevölkerung zu gehören, nicht erbringen kann. Billy kommt trotzdem an ein Realgymnasium im 8. Bezirk. In der Wiener Schulklasse ("Ich habe die schlechteste Schule von Wien besucht") ist er neugieriger als seine Klassenkameraden und der schüchterne Lehrer; auch unabhängiger vom offenbar besten Anzug, den schwarzen Strümpfen und dem offenen Kragen. Einer seiner Schulkollegen ist Fred Zinnemann, der 1925 am Gymnasium an der Stubenbastei maturiert. Wilder beginnt Jazz-Platten zu sammeln, lernt Foxtrott und Tango und wagt sich an ein erstes Drehbuch für einen imaginären Stummfilm, "unsagbar naiv natürlich" und bewundert Douglas Fairbanks, der "um zehn Millionen Dollar und nicht mehr" Österreich kaufen will. Nach der Matura am 4. Juli 1929 ist er "reif mit Stimmeneinhelligkeit" und "genügend" in Französisch. Im Rotenturmkino und in der Urania erfährt er ein für allemal, wo seine Welt ist. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 6. 2001)