Die Worte seien ihm im Munde zerfallen "wie modrige Pilze", schreibt Lord Chandos und findet damit Wort und Bild für seine Verzweiflung an der Sprache. In Hugo von Hofmannsthals fiktivem "Brief" wird Sprachkritik paradoxerweise mit großer stilistischer und rhetorischer Sicherheit geübt. Als der Text im Oktober 1902 in der Berliner Zeitung Der Tag erschienen war, meldete sich ein dortiger Leser, und zwar in "einer Stimmung, für welche ich keine Worte suchen will". Der Publizist Fritz Mauthner empfand "ernste Freude" darüber (so nannte er es dann doch), dass Hofmannsthals "Brief" als Antwort auf seine eben erschienenen Beiträge zu einer Kritik der Sprache zu verstehen sei. Ein solches dichterisches Echo des eigenen Werkes bedeute ihm mehr als jedes Lob: "Ich glaubte das Beste zu erleben, was ich geträumt hatte: Wirkung auf die Besten." Hofmannsthal, der in Fragen geistigen Eigentums mitunter recht unbekümmert verfuhr, antwortete vorsichtig-distanziert: Freilich kenne er das Werk, aber seit jeher beschäftigten ihn selbst ähnliche Überlegungen: "Es besteht eben beides: Übereinstimmung und gewiß eine Verstärkung dieser Gedanken durch Ihr Buch." Trotz Hofmannsthals Reserve gelten Mauthners "Beiträge" inzwischen als Quellentext der sprachkritischen Tradition in der österreichischen Literatur und als apokryphe Grundlage der Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts.Der Antrieb für Mauthners nun doch redselige 2000 Seiten Sprachverzweiflung war wohl auch die eigene gescheiterte Dichterkarriere. 1849 in Horice in Ostböhmen als Sohn eines jüdischen Unternehmers geboren, studierte er zunächst Jura in Prag und versuchte sich dann als freier Schriftsteller durchzubringen, was misslang. Ab 1876 arbeitete er daher im Berliner Tageblatt als Theaterkritiker. Furore machten seinen seine literarischen Parodien Nach berühmten Mustern (1879); die öffentliche Resonanz der "Beiträge" blieb bescheiden. Als er sich 1909 nach Meersburg am Bodensee zurückgezogen hatte, nahm man von seinem Wörterbuch der Philosophie (1910/11) und seinen Schriften zu Buddhismus und Atheismus noch respektvoll Notiz, die Wirkung blieb aus. 1923 ist Mauthner unter Zurücklassung von Schulden gestorben. Schon die multilinguale Umgebung des Heranwachsenden hatte Sprachempfindlichkeit erzeugt. Er verstehe es gar nicht, schrieb Mauthner in seinem Erinnerungsband Prager Jugendjahre (1919), "wenn ein Jude, der in einer slawischen Gegend Österreichs geboren ist, zur Sprachforschung nicht gedrängt wird", seien doch dann Deutsch, Tschechisch und Hebräisch die Sprachen seiner Vorfahren. Aber die reiche Vielsprachigkeit vermochte dann nichts gegen die empfundene Armut der einen. Mauthners echoloses Reden als Autor ließ die Frage nicht mehr zur Ruhe kommen: was die Sprache denn leiste. Und die Antwort hieß: nichts, weniger als nichts. Mit Worten sind die Dinge nicht zu bezeichnen, schon gar nicht zu erkennen, die Sprache steht "zwischen" ihnen, niemals fest, niemals verlässlich mit ihnen verbunden, sie bewegt sich "flirrend und zitternd", ein Fluidum, eine Art Flüssigkeit, instabil und variabel. Fünfzehn Jahre vor Ferdinand de Saussures Cours de linguistique générale sah Mauthner die Beziehung zwischen Namen und Sachen sich lockern und lösen, und es erschreckte ihn. Die Krisenerfahrung der Moderne hatte sich zuvor darin ausgedrückt, dass alles Leben auf "Schein, Kunst, Täuschung, Optik" ruhe (Friedrich Nietzsche); dass das Ich ein flimmerndes Bündel von Elementen und also "unrettbar" sei (Ernst Mach); kurz: dass alles "gleitet und vorüberrinnt" (Hofmannsthal). Bei Mauthner artikulierte sich dieser Schock als ratlose Not vor dem Umstand, dass auch durch Worte nichts endgültig und sicher zu fixieren ist: "Die Worte berühren die Dinge nie [...]. Auch die besten Worte noch sind Sage." Sprache ist also kein Medium der Erkenntnis - sie ist aber auch kein Mittel der Verständigung, sie versagt zwischen den Sprechern, bestenfalls ist sie ein "Scheinwert wie eine Spielregel" - welche Vorstellung immerhin Wittgensteins Begriff des "Sprachspiels" vorwegnimmt. Dieses Unvermögen der Sprache hat zum einen mit ihrer Geschichte zu tun oder, wie Mauthner es nennt, mit ihrem "Altern": Sie habe ein Wachstum von ungezählten Jahrtausenden hinter sich. Ein Wort, heißt es mit einem ehrwürdigen biblischen Bild, gleiche einem uralten Weinstock, der vor Zeiten in Persien wuchs, dann über Stecklinge in ganz andere Kulturlandschaften verpflanzt wurde, nach Italien, nach Deutschland, und sich durch Jahrhunderte weiterentwickelte. "Jedes einzelne Wort ist geschwängert von seiner eigenen Geschichte, jedes einzelne Wort trägt in sich eine endlose Entwicklung von Metapher zu Metapher" - daher darf man ihm aber auch nicht trauen: Es hat vor hundert Jahren nicht dasselbe bedeutet wie heute und wird in Zukunft wiederum etwas anderes bedeuten. Der zweite Grund für das Scheitern der Verständigung ist der individuelle Sprachgebrauch: Jeder Mensch hat mit einem Wort seine je eigenen Erfahrungen gemacht, deshalb muss er etwas anderes verstehen als sein Nebenmensch: "So wie aber nun an den unzähligen Weinstöcken der gleichen Art mit ihren tausendmal unzähligen Blättern und Beeren nicht zwei gleiche Blätter oder zwei gleiche Beeren sind, so hat das einzelne Wort [...] nicht bei zweien genau den gleichen Inhalt, den gleichen Umfang, den gleichen Wert". Und deswegen ist Sprache als Verständigungsinstrument gänzlich untauglich: "Ein Hauptmittel des Nichtverstehens ist die Sprache. [...] Durch die Sprache haben es sich die Menschen für immer unmöglich gemacht, einander kennen zu lernen." Mauthners verzweifeltes Räsonnieren ähnelt vielfach der Tirade eines enttäuschten Liebhabers. Wie bei Karl Kraus schlägt das ursprünglich erotische Verhältnis zur unbefleckten Sprache in die unbarmherzige Verurteilung der kompromittierten Sprachgeliebten um. Die Sprache lügt, täuscht, verrät, sie ist Eva und Schlange zugleich, die "Teufelin, die der Menschheit das Herz genommen hat und Früchte vom Baum der Erkenntnis dafür versprochen". Mit diesem Sündenfall sind die alten "adamischen" Sprachtheorien erledigt, die sich darauf berufen, dass Gott dem Menschen erlaubte, den Tieren Namen zu geben. Nichts erinnert mehr an die paradiesische Einheit von Ding und Bezeichnung, die ursprüngliche Unschuld des Wortes ist niemals mehr herzustellen. Aber bei aller Sprachverachtung zeigt schon die biblische Metapher vom Weinstock eine darunterliegende unausrottbare Verehrung an; noch in der ärgsten Verwünschung schlummert die alte Leidenschaft. Kaum geht Mauthner auf die Suche nach den Konstruktionen, die das Ich und die Sozietät in der Moderne noch tragen könnten - also Identität, Bewusstsein, Geschichte und Kultur -, kommt er wiederum nur bei der Einen und Einzigen an: der Sprache. Sie nämlich sichert die Erfahrungen des Individuums wie die die des Kollektivs, sie speichert die Erinnerung von Generationen, und an diesen kulturellen Schätzen lässt sie jeden Sprecher teilhaben: "Wir werden die Sprache das Gedächtnis des Menschengeschlechts nennen". Unvermutet und avant la lettre führt Mauthner einen "linguistic turn" der Erkenntnis- und Subjektkritik herbei. Alle Fehler und Erbsünden der Sprache sind mit einem Mal vergessen, und Mauthners radikale Absage verwandelt sich an solchen Stellen in eine verdeckte Lobrede. Aber dem Paradox der Sprache - Medium von Wahrheit und Lüge zu sein - ist wohl nur mit solch souveräner Inkonsequenz beizukommen. [] Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache. 3 Bände. EURO 168,-/ öS 2311,73/2000 Seiten. Böhlau, Wien 1999 ( Das philosophische Werk II,1-3). Helmut Henne u. Christine Kaiser (Hrsg.), Fritz Mauthner - Sprache, Literatur, Kritik. EURO 59,70/öS 821,49/185 Seiten. Niemeyer, Tübingen 2000. Joachim Kühn, Gescheiterte Sprachkritik. Fritz Mauthners Leben und Werk. De Gruyter, Berlin 1975. Konstanze Fliedl ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Wien (DER STANDARD, ALBUM 2./3. Februar 2002)