Wer kennt das nicht? Da ist man kläglich mit einer Sache gescheitert, hat aber viel investiert und sucht verzweifelt nach einem Nutzen, der den vergeblichen Einsatz rechtfertigt. Die Erfahrung lehrt: Ein solcher Nutzen lässt sich immer finden. Und mag einem das Haus abgebrannt sein - vielleicht zieht man ja jetzt in eine schönere Gegend? Menschliches, Allzumenschliches solcher Art scheint im intellektuellen Dunstkreis der Schröder-Visite auch so manche politische Analyse zu leiten. Dass Jörg Haider - wie nicht nur Doron Rabinovici beobachtet hat - dem Kanzlerstuhl nun tatsächlich so fern gerückt ist wie schon lange nicht mehr, ist fraglos ein politischer Erfolg. Ihn aber dem glorreichen europäischen Schulterschluss zuzuschreiben, bleibt linksintellektuelles Wunschdenken. Papier ist geduldig Haiders Chancen werden weder in Brüssel noch in Berlin taxiert; sie stehen und fallen mit jenen der FPÖ, und deren Kurswert hat sich nicht wegen, sondern trotz der europäischen Einmischung verschlechtert. Nicht der weltweite Aufschrei, die Aktionen der selbst ernannten "Zivilgesellschaft" und das bilaterale Strafkommando haben die Trendwende bewirkt, sondern die simplen Automatismen der Regierungsbeteiligung: Sachlich-politischer Offenbarungseid, Verlust des Oppositionsbonus, erzwungenes Ende einer reinen Protesthaltung. Regierungsbeteiligung führt notwendig zu einer Verbreiterung der Führungsebene, sie induziert Flügelkonflikte und schwächt Autokraten. Je länger dieser Prozess andauert, umso lockerer wird Jörg Haider am Ende im Sattel sitzen. Sollte das einfache Parteimitglied aber doch noch wie Phönix aus der Asche steigen, dann sind seine Chancen, von Europa toleriert zu werden, heute intakter denn je. Ein weiterer Sanktionsdurchgang ist nach Italien politisch nicht mehr durchsetzbar. Papier ist geduldig, im Weisenbericht hatte man Haider gleich gänzlich ausgespart (kluger Mann baut vor), und das "fast schon französische Raffinement", über das Georg Hoffmann-Ostenhof angesichts der Schröder-Visite frohlockte, wird man dann eben in ausgefeilte Begründungen der "veränderten Sachlage" investieren. Man wird auf die Wandlungen der FPÖ, die Erfolge in der Restitutionsfrage, auf Riess-Passer und Grasser verweisen und sich begierig auf jede auch noch so dünne verbale Distanzierung von früherem Rabaukentum stürzen. Ob's wahr ist oder nicht - wen kümmert das? Man vergleiche nur das vernichtende Zeugnis, das der Economist Silvio Berlusconi ausstellte, mit den ausgesprochen moderaten Tönen, die das Blatt in der Causa Austria angeschlagen hatte. Einem weiteren Sanktionsbegehr würden sich die schon bisher renitenteren kleinen Staaten verweigern, und selbst Joschka Fischer wird dann einen Teufel tun und Europa in die Krise stürzen. Die erwünschte Verlängerung wird es nicht spielen - nicht in Italien und schon gar nicht mehr in Österreich. Und die "exzellenten Geistesmenschen" ( André Heller) - was wird aus denen? Die werden auch weiterhin zur sozialdemokratischen Imagepolitur benötigt; Haider hin, Berlusconi her. Denn wer sich der hierzulande verpönten nüchternen Analyse bedient, dem werden substanzielle realpolitische Unterschiede zwischen Schwarz-Blau und den Regierungen des so genannten "dritten Weges" nicht eben ins Auge springen. Verständlich, dass man sich da nach einer möglichst demagogisch gefärbten negativen Kontrastfolie sehnt, vor deren Hintergrund sich die eigene Programmatik immer heller abzeichnen wird. Je drohender die Gefahr von rechts sich ausmalen lässt, umso mehr kann man sich schließlich selbst erlauben und wird immer noch das kleinere Übel sein. Für jeden etwas Auch Gerhard Schröder lässt sich da nicht lumpen. Die Sozialschmarotzerdebatte ist erfolgreich ausgetragen, und für die nächste Wahl hat man schon das Thema "Migrationspolitik" anvisiert. Man ist halt auf der Suche nach Mehrheiten, da muss entsprechend Handfestes und da müssen neue Wählerkreise her - "und sei es rechts von der CDU", wie unlängst die FAZ bemerkte. Wer macht da nicht gerne Urlaub bei Freunden und lässt sich - obendrein zum innenpolitischen Nulltarif - als Aufklärer, Humanist und großer Europäer feiern? In Österreich funktionierte das alles so reibungslos, dass man 80 Prozent des Ausländer-Volksbegehrens gleich in Eigenregie umsetzen konnte - verständlich, dass Viktor Klima eine freiheitliche Duldung nicht zu fürchten brauchte. Man bot huldvolle Anti-Haider-Inszenierung für die erstklassigen Geistesmenschen und zügige Umsetzung freiheitlicher Programmatik für die etwas weniger großzügige Stammklientel - da war für jeden was dabei. Freilich waren die Geistesmenschen dagegen. Aber wer kann es sich schon leisten, Energien abzuzweigen, wenn man im Kampf gegen den Rassismus alle Kräfte sammeln muss? Siehe "Anti-Rassismus-Demo" vom 12. 11. 99: War von Versäumnissen der bisherigen Regierungspolitik die Rede im Aufruftext? Gefehlt, man murmelte verschämt etwas vom "politischen Establishment" und zog es vor, stattdessen die längst hingeschiedene "dritte Republik" zu exhumieren. Der Geschäftsführer der Helsinki-Föderation hatte - aus Anlass der Sanktionsdrohung - in einem offenen Brief an die NZZ vom 4. 2. 2000 die menschenrechtlichen Standards in Österreich bilanziert; er war zur erwarteten wenig vorteilhaften Einschätzung der FPÖ gelangt, hatte der bisherigen Regierungsarbeit aber fast noch vernichtendere Zensuren ausgestellt. "Hysterische Reaktionen nicht hilfreich", lautete die Botschaft. Ja, man wünschte sich gar eine "rationalere Diskussion" der FPÖ-Regierungsbeteiligung. Das Ergebnis ist bekannt . . . Christoph Landerer, Psychologe und Publizist, lebt in Salzburg und arbeitet derzeit an der Universität Toronto, Kanada. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 31. Mai 2001)