Schwer verärgert sind die österreichischen Europaabgeordneten über die Regierung. "Für mich ist die Tatsache, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem das Europäische Parlament (EP) den Bericht über die EU-Erweiterung diskutiert, in Wien der Europadialog exakt zu diesem Thema stattfindet. Wenn man diesen Dialog ernst nimmt, kann man nicht so vorgehen", kritisiert Othmar Karas von der ÖVP. "Das ist ein Ignorieren der gewählten Vertreter Europas. Wir setzen voraus, dass es nicht mehr zu einer solchen Vorgangsweise kommt, betont der Parlamentarier mit Vehemenz. Laut Karas sei die Fraktionsführerin der ÖVP-Abgeordneten, Ursula Stenzel, beauftragt worden, den Unwillen der Europaabgeordneten bei einer Aussprache mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zu deponieren. Immerhin, so Karas, sei der Terminplan des EP über lange Zeit bekannt und eine Koordinierung daher sehr wohl möglich gewesen, bestätigt der Leiter der EP-Vertretung in Wien, Michael Reinprecht. Auch die Abgeordneten der SPÖ, der Grünen und der FPÖ sind schwer verstimmt. Johannes Voggenhuber (Grüne) spricht von einem Affront gegenüber den gewählten Abgeordneten. "Die Regierung wurde mehrfach auf die Terminkollision aufmerksam gemacht. Sie agiert aber in überheblicher Ignoranz." Hannes Swoboda (SPÖ) spricht von "Gleichgültigkeit", er glaubt aber nicht an Absicht. Schlicht unverständlich ist für Hans Kronberger (FPÖ) die Vorgangsweise der Regierung. Wer so agiere, dürfe sich nicht wundern, wenn immer mehr Bürgerinnen und Bürger der EU die Legitimitätsfrage aufwerfen, heißt es unisono seitens der Parlamentarier. Die Europaabgeordneten verlangen mit Nachdruck echte Mitentscheidungsrechte für das EP. Unabdingbar sei die Einsetzung eines Verfassungskonvents, der den Post- Nizza-Prozess - also die Erweiterung - endgültig vorbereiten soll. "Falls es nicht zum Konvent kommt, dann ist Post-Nizza vorbei", drohte Elmar Brock (CDU) am Mittwoch. Der Konvent müsse beim nächsten EU-Gipfel in Laeken im Dezember eingesetzt werden. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 31. 5. 2001)