"Man hat mir nicht angekündigt, dass ich als Italiener hier einer Psychoanalyse unterzogen werde": Irritiert reagierte Gustavo Corni, Zeithistoriker aus Trento und Gast an der Uni Wien bei der Ringvorlesung Europäische Bewertungen zur österreichischen Gegenwartsgeschichte .

Corni referierte über das Bild Österreichs in Italien, Stein des Anstoßes war sein Wiener Kollege Josef Berghold, der dazu den Kommentar sprach. Berghold hatte für das von Corni sehr äußerlich beschriebene Feindbild, das Österreich im italienischen Risorgimento darstellte, eine brillante Erklärung geliefert: Die unumgängliche Gegnerschaft des jungen Italien zur katholischen Kirche kostete den Staat seine soziale Basis. Schließlich besaß der Katholizismus in der Gesellschaft noch große Macht. Also stützten sich die Monarchen fast ausschließlich auf den Hochadel - und das Risorgimento, soweit es auch eine soziale Bewegung war, schlug fehl. Berghold: "Das Feindbild Österreich war ein notdürftiger Kitt für die italienische Gesellschaft, eine Ablenkung für gescheiterte Sehnsüchte."

Diese Ausführungen genügten, um in Corni das Gefühl zu erwecken, er liege auf der Couch des Analytikers. Nicht überraschend, denn Corni hatte es vermieden, ans nationale Eingemachte zu gehen: Er erzählte davon, wann welche österreichischen Gegebenheiten jenseits des Brenners wahrgenommen wurden und wann nicht. Warum und warum nicht, diese Fragen blieben Berghold vorbehalten.

Und so kam auch der interessanteste Beitrag zur gegenwärtigen "demokratiepolitischen Anomalie in beiden Ländern" von Berghold. Die österreichische Empörung darüber, dass Italien nicht mit EU-Sanktionen belegt wird, teilte der Wiener Historiker nicht. Was den rechten italienischen Politikern zumindest ein Lippenbekenntnis Wert sei, käme nie über Jörg Haiders Lippen, meinte er - und belegte dies mit Silvio Berlusconis Anmerkung, die Rote Armee habe einen bedeutenden Beitrag zur Befreiung Europas geleistet. (DER STANDARD, 30.5.2001)