Paris - Damit hat Fran¸cois Roussely nicht gerechnet. Der sonst so gesprächige Patron von Electricité de France (EDF) wirkt sprachlos, seitdem die italienische Regierung ein rückwirkendes Dekret gegen den EDF-Einstieg beim privaten Energieproduzenten Montedison erlassen hat. Auch Spanien ist gegen den Stromkonzern schon mit einem Dekret vorgegangen, und in Deutschland, Großbritannien und in den Niederlanden bringt die Stromkonkurrenz offen laute Kritik an. Der Schuss vor den Bug aus Rom schmerzt umso mehr, als er die EDF-Doppelstrategie bloßlegt, auch wenn der Einstieg der Deutschen Bank bei Montedison mit 3,14 Prozent, der am Sonntag bekannt wurde, EDF stärkt. Seit der europäische Strom- markt liberalisiert wird, geht die EDF jedenfalls auf Einkaufstour. Machen ihre Auslandsbeteiligungen heute knapp 20 Prozent ihres Umsatzes von 34,4 Mrd. EURO aus, soll ihr Anteil auf 50 Prozent hochschnellen. Heimmarkt bleibt zu Der Heimmarkt bleibt hingegen gut abgeschottet. EDF-Konkurrenten beliefern bisher nur fünf Prozent der Großunternehmen, die ihre Stromlieferanten frei wählen können. Umgekehrt versorgt die EDF weltweit bereits 20 Millionen Menschen mit Strom. Finanziert werden sie vor allem aus dem AKW-Park, den das Staatsunternehmen in Frankreich in Alleinregie unterhält. Laut der Energiebehörde IEA sind die meisten der 55 französischen Kernkraftwerke in wenigen Jahren abgeschrieben, können aber noch bis ins nächste Jahrzehnt hinein angeschaltet bleiben und damit Billigenergie liefern. EDF-Sprecher beteuern jedenfalls mit der Hand auf der Brust, sie wünschten nichts inniger als eine Marktöffnung; schuld sei die Regierung in Paris, die jede Liberalisierung hintertreibe. Diese Trennung zwischen Staat und EDF ist allerdings fiktiv. Und nicht nur deshalb, weil die öffentliche Hand Alleineignerin ihres Strommonopolisten ist. Die französische Atompolitik ist aus der militärischen Nuklearforschung und -nutzung hervorgegangen und stellt damit nationales Interesse dar. Dem unterliegt damit auch die EDF. Im April gab Roussely das Doppelspiel auf und erklärte, eine Öffnung des EDF-Kapitals stehe "nicht auf der Tagesordnung". Er nahm damit nicht zuletzt Rücksicht auf eine Forderung der Gewerkschaft CGT, die den Kommunisten nahe steht. Die CGT jongliert mit Milliarden, beherrscht sie doch unter anderem das Betriebskomitee (BK), das traditionell mit einem Umsatzprozent gespeist wird. Mit diesen Mitteln organisiert das BK das ganze Leben der 120.000 EDF-Angestellten: Es verfügt über eigene Feriendörfer, Kantinen, Kindergärten, Gesundheitszentren und Versicherungen. Als Kehrseite sind die Löhne sehr tief. Dies bestärkt die Belegschaft noch in ihrer Weigerung, über jede Kapitalöffnung auch nur zu diskutieren. Auf politischer Ebene kommt dazu, dass in Frankreich in weniger als einem Jahr Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. Bis dahin läuft in Sachen Stromliberalisierung nichts mehr. Gegen außen ist die EDF allerdings bereits kleinlaut geworden und bezichtigt nun Italien auch nicht mehr des Protektionismus, den sie der spanischen Regierung noch unterstellt hatte. (Stefan Brändle, DER STANDARD, Printausgabe 28.5.2001)