Wien - 1999 hatte Hortensia Völckers für ein Wochenende der "Wahlverwandtschaften" in die Sofiensäle geladen. Heuer hat die für Grenzüberschreitendes zuständige Programmdirektorin der Wiener Festwochen gleich ein 24-tägiges Festival innerhalb des Festivals zusammengestellt. "du bist die welt" heißen die "24 Episoden über das Leben von heute" (Untertitel), die ab 1.Juni im Wiener Künstlerhaus mit unterschiedlichsten künstlerischen Mitteln erzählt werden. "Was wir bei 'du bist die welt' zeigen, ist eine Ergänzung zum übrigen Festwochen-Programm", erklärt Völckers, "die Wiener Festwochen verstehen sich immer mehr als Theaterfestival, aber ich will mich nicht auf eine Sparte festlegen müssen." Kritik, dass die von ihr verantworteten Programminseln bloß avantgardistische Einsprengsel innerhalb eines ansonsten reinen Hochkultur-Festivals bildeten, weist sie zurück. Es wäre vermessen, zu glauben, man könne das von ihr Gezeigte auf die gesamten Festwochen ausdehnen: "Ich bin ja viel moderater als man annimmt. Eine große Stadt muss eine Vielzahl von Dingen bieten. Und wenn ich schaffe, auch ein Publikum zu erreichen, das sonst nur ins Theater und in die Oper geht, habe ich gute Arbeit geleistet." Die Mischung Bei "du bist die welt" sind Filmemacher ebenso vertreten wie Gesellschaftstheoretiker, Video-, Performance- und Installationskünstler ebenso wie Theatermacher oder Fotografen. Für die Verbreiterung der konzeptionellen Basis hatte sich Völckers ein Vorbereitungsteam von ExpertInnen (Alexander Horwath, Katrin Klingan, Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer) zusammengestellt: "Es gab ein Jahr lang eine ganz enge Zusammenarbeit von Leuten aus verschiedenen Sparten. Insofern ist das Projekt transdisziplinär, und es gibt viele Querverbindungen. Wenn man sich mit anderen Kulturen auseinander setzt, kann man etwas präziser erzählen, wenn man es in verschiedenen Sparten erzählt. So ergänzen etwa Theater, Film und Musik aus Argentinien einander - aber alle knabbern gemeinsam an der langen Diktatur und dem sofortigen Einstieg in die neoliberale Wirtschaft." Die rund hundert vertretenen Künstler kommen aus allen Teilen der Welt. Ein konsequentes Statement im Zeitalter der Globalisierung, aber gleichzeitig auch Kritik an dieser. Denn Völckers liegt es fern, das Märchen von dem einen, glücklichen, weltumspannenden Künstlervölkchen zu erzählen. "'Du bist die Welt' heißt: Jeder hat die gleichen Chancen, aber auch: Jeder soll sich engagieren. Der Untertitel '24 Episoden über das Leben von heute' legt die Vermutung nahe, dass es mit Theater zu tun hat. Tatsächlich ist es so, dass Künstler ihre Geschichten über traumatische Ereignisse der jüngeren Zeit erzählen. Ob in Albanien, in Ex-Jugoslawien oder in Wien. Man kann sich, je nachdem was man sehen will, als Zuschauer selbst Zusammenhänge bauen. Man kann dieses Ding, das wir anbieten, sehr unterschiedlich benützen. Basislager Das Zentrum des Geschehens bildet der Ausstellungsraum im Erdgeschoss, wo täglich ab 10 Uhr eine Ausstellung zu sehen ist, (u.a. mit Werken und Projekten von Dorit Margreiter, Ines Doujak, Lisl Ponger und Milica Tomic), wo aber auch nachmittags (17 Uhr) oder spät abends (22 Uhr) Lectures, Symposien oder Performances stattfinden. "Die Ausstellung ist der Ort, an dem man verbleiben kann. Von dort kann man ins Kino oder ins Theater gehen oder später auch Musik hören", schildert Hortensia Völckers das Konzept. Im Künstlerhaus-Kino werden täglich drei Filme gezeigt (Vorstellungen um 16.30 Uhr, 19.30 Uhr und 22 Uhr). Viele Entdeckungen aus den verschiedensten Filmkulturen können hier (und vermutlich nur hier) gemacht werden, gesellschaftskritische Videoarbeiten sind ebenso zu sehen wie selten gezeigte Dokumentarstreifen oder Arbeiten von prominenten Künstlern wie Chantal Akerman oder Harun Farocki. Im Theaterraum des Künstlerhauses zeigt Tim Etchells, der Leiter der Performancegruppe "Forced Entertainment", sein für die Festwochen erarbeitetes Solo "Instructions for Forgetting" (31.5.-3.6., 20.30 Uhr), gastieren die Gruppe Goat Island aus Chicago mit "It's an Earthquake in My Heart" (7.-10.6., 20.30 Uhr) und die Argentinierin Beatriz Catani mit "CUERPOS A banderados" (14.-17.6., 20.30 Uhr). Wer möchte, kann den Tag in der Künstlerhaus-Passagengalerie bei Videovorführungen und Musik ausklingen lassen (Veranstaltungsbeginn meist ab 22 oder 23 Uhr). Budget Genaue Budgetzahlen für das dichte, 24-tägige Programmangebot nennt Festwochen-Co-Chefin Hortensia Völckers nicht: "Unser Budget ist genug, aber im Vergleich zu anderen Dingen sehr bescheiden. Mir hat bei den Festwochen nie das Geld gefehlt, ich hätte aber auch kein Problem gehabt, dreimal so viel auszugeben." Völckers' Arbeit als Mitglied des Führungstrios der Wiener Festwochen (an der Seite von Luc Bondy und Klaus-Peter Kehr) endet mit dem laufenden Festival. Sie zieht ganz ohne Zorn Bilanz: "Ich glaube, es gibt einen roten Faden in meiner Arbeit und meiner Programmierung. Ich habe meine Kenntnisse so sensibel wie möglich eingebracht. Es war eine ziemlich perfekte Synergie, es war ein Apparat, der perfekt funktioniert. Aber es ist nicht ganz einfach zu dritt und daher haben wir schon vor zwei Jahren gesagt, dass insgesamt vier Jahre genug sind." Der nächste Job führt die ehemalige leitende Mitarbeiterin der letzten "documenta"-Macherin Catherine David in das Minenfeld der deutschen Kulturpolitik: "Im Moment arbeite ich in Berlin, ich berate Minister Nida-Rümelin und entwickle mit ihm das Konzept für die Bundeskulturstiftung. Das ist eine ziemlich heiße Kartoffel, vor allem, was die Finanzierung betrifft. Was allerdings nach dem Sommer ist, weiß ich noch nicht. Wenn ich freie Projekte durchführe, bleibe ich in Wien wohnen. Es ist mir im Moment die liebste Stadt. Ich fühle mich hier sehr wohl." (APA)