Wien - Die Musiktherapie, meint Elena Fitzthum, Musiktherapeutin und Mitveranstalterin des am Montag und Dienstag der kommenden Woche in Wien stattfindenden Symposions "Musiktherapie im Exil", sei eine geradezu charakteristische Wiener Hervorbringung. "Wien hatte eine sehr ausgeprägte medizinische, tiefenpsychologische und musikalische Tradition", meint Fitzthum, die auch Mitbegründerin des Wiener Instituts für Musiktherapie (WIM) ist. "Und diese Therapieform bewegt sich an der Schnittstelle dieser drei Disziplinen." Schon im Altertum haben MusikerInnen bei der Behandlung von Kranken auch Musik eingesetzt. Heute nutzen MusiktherapeutInnen ihre 1996 von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Heilverfahren anerkannte Therapiemethode "rezeptiv" oder "aktiv", etwa bei der Versorgung von Schmerz-und SchlaganfallpatientInnen, bei Herzkranken, bei PatientInnen mit krankhafter Vergesslichkeit, mit Störungen der Bewegung oder bei Unfall-und Folteropfern, aber auch bei Neurosen oder Essstörungen. "Wir verwenden die Musiktherapie bereits bei der Nachbehandlung von Frühgeborenen", sagt Fitzthum, "das dient der Stimulierung des Nervensystems und der Gehirnanregung." Sprachloser Ausdruck Dass die Musiktherapie auch ohne Worte auskommt, sei einer ihrer großen Vorzüge. "Dinge, die man nicht in Worte fassen kann, kann man auch mit einer Trommel oder einem Xylophon ausdrücken", sagt Fitzthum. Das kann für PatientInnen nach stark traumatisierenden Erlebnissen wie Vergewaltigungen, Folter oder schweren Unfällen wichtig sein, die zunächst nicht in der Lage sind, über ihre Gefühle zu sprechen. Auch PatientInnen mit Bewegungsstörungen, etwa nach einem Schlaganfall, können über das Improvisieren mit Musikinstrumenten neue Ausdrucksformen ausprobieren und Erfolgserlebnisse sammeln. Gesprächstherapie im Anschluss Je nach Krankheit oder Störung wird anschließend versucht, die dabei gemachten Erfahrungen gesprächstherapeutisch aufzubereiten. "Wenn zum Beispiel in einer Gruppensituation ein Teilnehmer ständig auf die Pauke haut und sich ein anderer, der sich für ein kleines Glöckchen entschieden oder vom Musiktherapeuten eines zugeteilt bekommen hat, völlig an den Rand gedrängt fühlt, dann kann das in einer anschließenden Feedback-Runde besprochen werden oder durch einen Rollentausch anders erlebt werden", sagt Fitzthum. "Dabei machen TeilnehmerInnen neue Erfahrungen, haben neue Gedanken und gelangen zu neuen Erkenntnissen." Bei der "rezeptiven" Variante der Musiktherapie werden PatientInnen mit sorgfältig ausgewählter Musik beschallt. Fitzthum: "Dann sehen wir gemeinsam, was das auslöst, und dieses ,Material' wird dann gesprächstherapeutisch aufgearbeitet." Selbsterfahrung Dieser bewusste Umgang mit Musik könne auch im Sinne einer intensiven Selbsterfahrung genützt werden und spiele damit weit in den Wellnessbereich hinein. Fitzthum: "Wenn sich heute jemand, für den in seiner Jugend Bob Dylan eine prägende Rolle gespielt hat, diese Sänger wieder bewusst anhört, dann ist das auch Biografiearbeit, da findet ein Brückenschlag zur Zeit seiner Identitätsbildung statt." (rbe/DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.05.2001)