Wien/Rom - In Berlusconis "Haus der Freiheiten" hat er wohl das kleinste Zimmer: Rocco Buttiglione, Chef der christdemokratischen Union CDU, gewann im Verein mit Francesco Casini, dem Füh- rer des christdemokratischen Zentrums CCD, gerade einmal 3,2 Prozent der Stimmen bei den italienischen Parlamentswahlen. In der neuen Regierung Berlusconi will Buttiglione gern Bildungsminister werden. In einem Vortrag vor der Politischen Akademie in Wien begründete er am Montag sein neues Credo: Berlusconi sei gereift, sagt er. STANDARD: Wie weit ist denn Herr Berlusconi mit der Regierungsbildung? Haben Sie heute schon mit ihm telefoniert?

Rocco Buttiglione: Ja, natürlich. Wir sprechen über die Ministerien, wir wollen ein gut funktionierendes Team aufbauen, und dafür braucht man viel Geduld. Alle Kräfte der Koalition müssen sich vertreten fühlen.

STANDARD:Sie zählen - wie die Lega Nord oder Ihr politischer Freund Casini von der CCD - zum Klub der Dreiprozentsieger in der Koalition und stehen einer übermächtigen Forza Italia gegenüber. Welchen Sinn macht unter diesen Umständen eine Regierungsbeteiligung?

Buttiglione: Die Forza Italia hat einen sehr großen Erfolg gehabt, aber dieser Erfolg entspricht nicht den wirklichen Kraftverhältnissen. Es ist ein Ergebnis der Art und Weise, wie die Linke den Wahlkampf geführt hat. Die Wahl wurde zu einem Referendum: Ist Berlusconi ein Mafioso oder ein Verfolgter? Wir müssen Berlusconi in dieser Frage unsere unbedingte Unterstützung geben, aber das Ergebnis für die Forza Italia wird sich nicht bestätigen. Achten Sie auf die nächsten Wahlen in Sizilien.

STANDARD:Vor sechs Jahren haben Sie in einem Interview mit dieser Zeitung erklärt, Berlusconi und sein Rechtspopulismus seien im Grunde viel gefährlicher als der Führer der Postfaschisten, Gianfranco Fini. Was ist anders geworden?

Buttiglione:Vieles. Berlusconi ist der Europäischen Volkspartei beigetreten. Die erste Berlusconi-Regierung ist gestürzt worden, und Berlusconi musste lange in die Opposition. In dieser Opposition ist er als Politiker und Mensch sehr gereift. Er hat eine tödliche Krankheit überlebt, auch das hat ihn reifen lassen. Und nicht nur Berlusconi hat sich entwickelt, auch Bossi, der damals fast eine neue Religion gründen wollte, und ebenso Fini, der klar Abstand zum Faschismus nahm. Und Berlusconi ist nicht Haider. Berlusconi ist ein Mensch der Mitte.

STANDARD:Halten Sie die Koalition in Österreich für ein Vorbild für Italien? Buttiglione: Nein. Jede Nation muss sich für sich selbst betrachtet werden. Außerdem können wir in Italien etwas Besseres machen. Aber der Geist ist derselbe: Die Mitte muss selbstständig eine Mehrheit gegen die Linke gewinnen, muss eine Verbindung zur Rechten suchen und die Rechte zivilisieren. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 22. 5. 2001)