Wien - Die Geschichte des Verdi-Requiems ist auch eine Geschichte der Gegenwehr gegen das Opernhafte. Dirigent Hans von Bülow nannte es gehässig eine "Oper im Kirchengewande", wofür er sich später entschuldigte; auch Verdis "schönste Oper" nannte man das Opus. Der Maestro selbst jedoch (übrigens Agnostiker) verlangte ausdrücklich einen nicht opernhaften Ausdruckszugang - wollte Übertheatralik vermieden wissen. Das alles ist längst anekdotische Historie; Missverständnisse dürfen als ausgeräumt vorausgesetzt werden. Und bei Dirigent Riccardo Muti, zwar ein Freund der opulenten Gesten, darf man akribischen Zugang erwarten. Blieb nur die bange Frage, wie sich die instrumentalen und vokalen Schichten in der Staatsoper, die beim Todestag Gustav Mahlers zum akustisch heiklen Konzertsaal mutiert, mischen würden. Erstens: Näher kann man der Stille nicht sein, delikater kann man am Leisen nicht entlangtönen als die Wiener Philharmoniker zu Beginn. Zwar wird man später mitunter auch kollektive Meinungsverschiedenheiten in puncto Intonation hören, aber in Summe überwog der Eindruck von Homogenität. Zweitens: Muti schätzt die Ausdrucksextreme, schafft es aber in dieser akustischen Situation auch, die Dramatik zu retten, ohne das Klangbild allzu diffus geraten zu lassen. Von Transparenz und Wucht zugleich das Dies Irae. In delikaten Farben leuchtet vielschichtig das Lacrymosa . Der Staatsopernchor ist ein solider Partner, wenngleich die Damen einmal tonhöhenmäßig schwankten. Zu einer aufwühlenden Aufführung hätte es allerdings Stimmen gebraucht, die mehr als solide zu Werke gehen. Mehr Strahlkraft in der Tiefe hätte man bei Miriam Gauci und Violeta Urmana zu schätzen gewusst. Nach mehr vokaler Aura sehnte man sich mehr als einmal bei Giuseppe Sabbatini und Alastair Miles. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 5. 2001)