Jahrelang haben sich die Parteien in Deutschland davor gedrückt, über die Ausländerfrage zu diskutieren. Die SPD wollte sich nicht festlegen. Die CDU und vor allem die CSU versuchten sich und anderen weiszumachen, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Die Grünen behaupteten, "Multikulti" mache nur Spaß. Die FDP durfte während der Kohl-Ära als kleiner Koalitionspartner ihre Vorstellungen nicht veröffentlichen, die sich an den Erfordernissen der Wirtschaft orientierten. Unter dem Eindruck des Bevölkerungsrückgangs und des Mangels an Fachkräften vor allem in Technologiebranchen kam eine Debatte in Gang. So setzte die rot-grüne Regierung eine Zuwanderungskommission ein, die aus Politikern und Experten besteht und im Juli ihre Vorschläge vorlegen will. Parallel dazu erarbeiteten mit Ausnahme der SPD die Parteien Konzepte, die als Grundlage für einen parteiübergreifenden Konsens taugen. Ermöglicht wurde dies durch einen Abschied von Lebenslügen. Die Politiker waren bereit, mit Tabus zu brechen und ihre bisherigen Positionen zu überdenken. So hat die Union anerkannt, dass Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist und Zuwanderung auch braucht. Die CDU hat eines der größten Hindernisse für eine Verständigung aus dem Weg geräumt, indem sie am Grundrecht auf Asyl nicht mehr rüttelt. Zumindest vorerst. Die Grünen wiederum gestehen zu, dass Deutschland "aus egoistischen Motiven Kriterien für die Zuwanderung aufstellt", wie es - die dem linken Flügel zugerechnete - Parteichefin Claudia Roth formuliert hat. Die SPD hält ihr Konzept zwar noch zurück. Klar ist aber auch, dass sich der linke Parteiflügel der Notwendigkeit nicht verschließt, mehr auf die Erfordernisse der Wirtschaft einzugehen, die 200.000 Arbeitskräfte pro Jahr als Bedarf nennt. Generell hat zur Versachlichung der Debatte beigetragen, dass die Reizwörter aus den Konzepten entfernt wurden. Im gemeinsamen Positionspapier von CDU und CSU taucht der Begriff "Leitkultur", der noch im Entwurf verwendet wurde, nicht mehr auf. Hier hat sich der liberale Flügel der CDU durchgesetzt. Auch die Grünen haben provozierenden Wortballast abgeworfen und aus ihrem Eckpunktepapier den ansonsten in allen Parteitagsbeschlüssen auftauchenden Begriff der "multikulturellen Gesellschaft" entfernt. Die Grundlinien für eine Verständigung sind vorgezeichnet: Allgemeiner Konsens ist, dass Zuwanderung notwendig ist, nur über die Art der Steuerung wird noch gestritten. Ob dies nun in Form von Quoten, einem Punktesystem oder einer Obergrenze geschieht, wird die Diskussion zeigen. Ebenso klar ist auch, dass es künftig verpflichtende Sprachkurse für Ausländer geben wird. Denn die Kenntnis der Sprache des Landes, in dem man sich niederlassen will, ist im eigenen Interesse jedes Zuwanderers. Auch gegen eine Staatsbürgerkunde, in denen die rechtlichen und politischen Grundlagen vermittelt werden, ist nichts einzuwenden. Ob nun eine kleine Lösung zustande kommt oder ein großer Wurf, werden die nächsten Monate zeigen. Entscheidend wird dabei sein, welche Vorschläge die Zuwanderungskommission präsentiert. Dabei wird auch eine Rolle spielen, wie weit der Wahlkampf vor dem Urnengang im Herbst 2002 fortgeschritten ist. Fest steht, dass der Wille vorhanden ist, eine gesetzliche Regelung zu treffen. Davon sind Österreichs Parteien - vor allem die schwarz-blaue Regierung - noch weit entfernt. Obwohl das Wirtschaftsforschungsinstitut errechnet hat, dass Österreichs Unternehmen bis 2005 rund 165.000 Arbeitskräfte fehlen werden, und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl einen "dringenden Bedarf an Zuwanderung" ortet, bleibt die FPÖ dabei: Heuer dürfen - einschließlich Familienzusammenführung - maximal 8518 Fremde ins Land. Auch die Parteien in Österreich müssen das heiße Eisen Zuwanderung anpacken. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 17. 5. 2001)