Vier Jahre lang arbeitete Günter Eisenhut im Auftrag von Peter Weibel die Geschichte der steirischen "Moderne in dunkler Zeit" auf. Diese Beschäftigung sollte zu einer Korrektur gängiger Einschätzungen führen: Die Neue Galerie in Graz stellt bis 15. August drei Dutzend zum Teil unbekannte Künstler vor, die zwischen 1933 und 1945 Widerstand leisteten. Mit den beiden Ausstellungsmachern sprach Thomas Trenkler.

Alexander Stern zum Beispiel: Dem bekennenden Sozialisten gelang der Arier-Nachweis nicht - er trat in der Not der NSDAP bei. 1944 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, u. a. weil er seine verfolgte Schwägerin versteckt hatte. Erst nach seinem Tod 1970 wurde Stern als Avantgardist der Fotografie entdeckt.

Oder Mela Spira, deren NS-kritisches Buch Das Wunder von Ulm 1936 in einem Pariser Exilverlag erschienen war: Die Schauspielerin floh mit ihrem Mann 1938 nach London, die Häuser und die Kunstsammlung wurden beschlagnahmt. Heute gilt Mela Hartwig als wichtige Vorläuferin feministischer Literatur; ihre Bilder sind nahezu unbekannt.

Oder Ida Sofia Maly: Die Künstlerin wurde 1941 im Rahmen des Euthanasie-Programms in der Vernichtungsanstalt Hartheim ermordet.

Drei Schicksale von insgesamt 35, die in der Neuen Galerie nacherzählt werden: Die Ausstellung Moderne in dunkler Zeit gibt, wie es Chefkurator Peter Weibel ausdrückt, "der Steiermark eine vergessene, verdrängte, vertriebene und verbotene Moderne wieder zurück". Sie zeigt, wie groß der Beitrag zur Kunstgeschichte gewesen wäre, hätten Politik und Gesellschaft ihn zugelassen.

Die Anregung für diese Ausstellung lieferte Günter Eisenhut, Hauptschullehrer für Geschichte, bildnerische Erziehung und Deutsch in Kalsdorf bei Graz. Vor zehn Jahren begann er sich in seiner Freizeit mit dem Thema Widerstand in der steirischen Kunst auseinander zu setzen - und erhielt für seine Recherchen den Theodor-Körner-Preis. 1997 wandte er sich schließlich an Peter Weibel, der sich künstlerisch mit der Vertreibung der Vernunft. The Cultural Exodus from Austria auseinander gesetzt hatte.

STANDARD: Wie stießen Sie eigentlich auf dieses Thema?

Eisenhut: Ein Streit über den NS-Künstler Ernst von Dombrowski bildete den Ausgangspunkt. Ich musste erkennen, dass sehr interessante Künstler entweder völlig falsch eingeschätzt werden - oder vergessen wurden.

STANDARD: Dombrowski war und ist in der Steiermark ein sehr angesehener Künstler - trotz seiner Vergangenheit.

Eisenhut: Er war 1938/39 kommissarischer Leiter der Reichskulturkammer der Bildenden Künste in der Steiermark, war dann Professor in München, er spielte eine wichtige Rolle bei jeder großen Ausstellung im Haus der Kunst. Er hat die Bunker-Schmuckblätter gestaltet, war auch nach dem Krieg ein überzeugter Nationalsozialist und hat seine - in meinen Augen - sehr unehrliche Form der Kunst erfolgreich weitergetrieben. Es gibt heute den Dombrowski-Preis - und auf der anderen Seite gibt es vergessene Vertreter der internationalen Moderne wie den Architekten Herbert Eichholzer, der 1943 als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde.

STANDARD: Eichholzer wird in der Ausstellung vorgestellt, auch wenn er zwischen 1938 und 1940 für Clemens Holzmeister in Ankara arbeitete. Was waren die Kriterien für die Auswahl der Künstler?

Eisenhut: Es werden nur Künstler vorgestellt, die verfolgt wurden. Unter kulturellem Widerstand verstehen wir Unangepasstheit des Stils oder kritische Inhalte, kombiniert mit einer dezidierten politischen Haltung.

STANDARD: Peter, du stellst die These auf, die Grazer Sezession sei in den 30er-Jahren moderner gewesen als die Secession in Wien.

Weibel: Ja, sie hat den Postkubismus und die neue Sachlichkeit mehr vorangetrieben. Die Grazer waren auch eindeutig qualitätsvoller. Die Secession stellt sich jetzt historisch verfälschend dar. Sie war ein Widerstand gegen die Moderne, ein Nest der NSDAP. Schon vor dem Anschluss wurde vor der Secession die Nazi-Flagge gehisst.

STANDARD: Warum wurden diese Künstler nach dem Krieg zum Großteil nicht bekannt?

Weibel: Weil es dieses Kontinuum, die Fortsetzung der ständestaatlichen und der NS-Herrschaft gab. Es waren die gleichen Leute an der Macht.

Eisenhut: In den 50er-Jahren hat es eine öffentliche Gerichtssitzung gegen die moderne Kunst gegeben. Es wurden Flugblätter mit den gleichen Argumenten verteilt, die von den Nationalsozialisten verwendet worden waren. Auch der Begriff "entartete Kunst" wurde gebraucht. Die Künstler mussten gegen eine starke Lobby ankämpfen.

STANDARD: In der Ausstellung werden auch Künstler rehabilitiert - wie Hans Fronius, der in der NS-Zeit als "Judenfreund" beschimpft worden war. Umgekehrt stößt man auf echte Entdeckungen - wie Gertrud Ring, Franz Rogler und ganz besonders Karl Wiener.

Weibel: Seine Arbeiten sind großartig, vergleichbar mit jenen von Kurt Schwitters oder John Heartfield. Es gibt in den Collagen sogar Ansätze der Pop-Art. Von ihm gibt es 2500 Arbeiten im Historischen Museum der Stadt Wien.

Eisenhut: Wiener verübte 1949 Selbstmord. Der Nachlass ging an seinen Freund Ernst Dostal, und nach dessen Tod wollte die Gattin, die von Wiener verehrt worden war, das Beste für den Künstler: In den 50er-Jahren hat sie dem Historischen Museum alle Werke geschenkt - gegen die Zusicherung, dass das Material aufgearbeitet und eine Ausstellung gemacht würde. Dazu kam es aber nie. Als ich vor ein paar Jahren wegen Wiener angefragt habe, hat man im Museum abgestritten, den Nachlass überhaupt zu besitzen. Es hat ein halbes Jahr gebraucht, bis man mir das Material zugänglich gemacht hat. (DER STANDARD 16.5.2001)