Washington - 1933 haben Primatologen in westafrikanischen Wäldern einen rot-schwarzen Affen entdeckt, den sie "Miss Waldrons Roter Stummelaffe" tauften. Dieser Affe wurde kürzlich für ausgestorben erklärt - das erste dokumentierte Aussterben eines Primaten seit dem 17. Jahrhundert. Vermutete Ursache: die starke Abholzung in der Region. Mit Miss Waldrons Rotem Stummelaffen ist aber auch eine unbekannte Parasitenzahl verschwunden, denen der Affe als Wirt diente, Parasiten, zu denen Viren, Bakterien, Protozoen (Einzeller), Pilze und Bandwürmer gehört haben könnten. Möglicherweise sind wir gerade dabei, ein Massenaussterben zu verursachen, wie es unser Planet seit dem Einschlag eines Asteroiden vor 65 Millionen Jahren nicht erlebt hat. Und es werden die Parasiten sein, die zahlenmäßig am stärksten betroffen sind, weil sie geschätzte vier von fünf Spezies ausmachen. Auch wenn der Mensch im Allgemeinen vor Parasiten Abscheu empfindet, sind sie ein großer Erfolg der Natur. Sie existieren seit Milliarden von Jahren und haben sich zu einem bizarren Spektrum von Formen entwickelt: Nematoden, die sich in einer einzigen Muskelzelle zusammenrollen können; Schalentiere, die sich an den Augen von Grönlandhaien festklammern; oder Plattwürmer, die elf Monate des Jahres in der Blase von Wüstenkröten eingegraben im Sand leben. Ihre Leistungen sind enorm. Parasiten können ihren Wirt biochemisch kastrieren, um sich seine Energie zu sichern. Oder sie beeinflussen zugunsten ihrer eigenen Reproduktion sogar das Verhalten ihrer Wirte. Toxoplasma etwa, der zwei Wirte - Katze und Ratte - braucht, sorgt dafür, dass die Ratte zur unvorsichtigen Katzenbeute wird. Hakenwürmer wiederum graben ihre Haken in die Schleimhaut des Darms, um Blut zu saugen. Normalerweise würden sich dabei Gerinnsel bilden, die das Aufsaugen verhindern. Der Hakenwurm jedoch kann mit einem bestimmten Molekül die Blutgerinnung blockieren. Biotechnologen haben dieses Molekül nun synthetisiert und testen es als blutverdünnendes Medikament für Operationen. Vom Meister lernen Andere Parasiten produzieren möglicherweise Chemikalien, die die Organabstoßung verhindern könnten. Sterben sie aus, nehmen sie ihr Geheimnis mit. Hinter der Verachtung, die viele Menschen für Parasiten empfinden, steckt eine tiefgründige Beklommenheit über die Rolle, die wir selbst in der Natur spielen. Denn auch wir sind Parasiten - allerdings keine besonders guten. Unser Wirt ist die Biosphäre, doch anders als unsere Kollegen beuten wir diesen Wirt bis zur Zerstörung aus. Wir sollten also besser von den Meistern lernen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe 10. 5. 2001)