Am 10. Mai hat am Zürcher Schauspielhaus ein neuer "Hamlet" Premiere: Christoph Schlingensief holt dafür Exneonazis als Komödianten auf die Bühne und erschließt sich das Drama über alte Tondokumente: Eine Vorschau von Claus Philipp . Er ist ein Stückeschreiber oder Akteur, der sich mit einem Mal in einem geschriebenen Stück wiederfindet und mit äußerst irritiertem Entsetzen merkt, dass die anderen alles ernst meinen und auch nehmen.“ Dieses Zitat aus Rolf Vollmanns unentbehrlichem Nachschlagewerk Shakespeares Arche erzählt natürlich nicht von Christoph Schlingensief, sondern vom Provokateur Hamlet. Christoph Marthaler, den Leiter des Züricher Schauspielhauses, könnte aber eine ähnliche Sicht auf das Stück bewogen haben, den Regisseur, der im Vorjahr mit der Container-Aktion Ausländer raus vor der Wiener Staatsoper für Furor sorgte, an sein Theater einzuladen: Der selbst ernannte "Testpilot" Schlingensief scheint in seinem Aufbegehren gegen autoritäre Strukturen, ihre Repräsentanten und Selbstinszenierungen eine Idealbesetzung zu sein. Und sagte zu: "So viel Probenzeit wurde mir noch nie zugesichert", freute er sich im Gespräch mit dem STANDARD. Wichtig ist, was ausgelöst wird Es stellte sich nur die Frage, ob bei ihm nicht eher alles auf die Probe gestellt als konven tionell geprobt wird. Vom Plan, die Hauptrolle selbst zu übernehmen, sah der Künstler bald ab. Stattdessen irritierte er die Schweizer mit öffentli chen, durchaus hamletwürdi gen Auftritten: Seine Ankün digung, ehemalige Skinheads aus dem Reintegrationspro gramm "Naziline.de" ins En semble aufzunehmen, sorgte für Aufsehen; seine Attacken gegen die rechtsrechte SVP spalteten die Nation; und seine Forderung, dem Schauspielhaus die Subventionen zu entziehen, "damit man einmal sieht, was man an ihm hat", quittierte sogar der gutwillige Marthaler verquält: "Es ist vielleicht gar nicht so wichtig, was Schlingensief tut, sondern was er damit auslöst", meinte er kürzlich. Er zielt damit aber an der Tat sache vorbei, dass Schlingensief zwar oft improvisiert, seine Fundstücke aber höchst präzise montiert. Über den Rhythmus zum Text Ausgangspunkt für Schlingensiefs Hamlet ist ein Tondokument aus dem Jahr 1962: Maximilian Schell und Marianne Hoppe in einer Inszenie rung von Gustav Gründgensschnitt er gegen Passagen aus Hitchcocks Psycho und Vertigo. Gleichzeitig vergatterte er sein Ensemble dazu, die Gründgensversion lippensynchron einzustudieren. Schlingensief: "Wir kommen also über den Rhythmus zum Text und nicht über den Inhalt. Unsere Frage: Kann man das noch immer so sprechen? Nein. Der Nazi von gestern entspricht" – und hier kommen nun die Skinheads zu ihrem Recht – "nicht mehr dem Nazi von heute. Er spricht anders; und seine Funktion im politischen und marktökonomischen Gefüge ist anders." Funktion also. Form. Und die Brüche, die sich daraus er geben, wenn alte Inszenierungen unverbrüchlich, über neue Bedingungen hinweg beibehalten werden: Schlingensiefs ewige Themen also, wobei er – wie Hamlet – mit Vaterfiguren abrechnet: "Olivenölfabrikanten wie Peter Stein" etwa, dessen akribische Rekonstruktionen historischer Texte für Schlingensief den Blick auf reale Gegebenheiten verstellen. Karaoke-Theater "Stadt- und Staatstheater dieses Zuschnitts ist leicht", meint Schlingensief, der aber auch mit dem anderen Extrem, "dem Partytheater", nichts anfangen kann. "Viel leicht sollte man Karaoke-Theater machen, in dem die braven Bürger dann jubeln: 'Klassiker! Unverfälscht!' Auch wenn der Ton vom Band kommt. So könnte man Geld für Experimente ansparen!" Auch wenn er als Hamlet nun den jungen Schauspieler Sebastian Rudolph agieren lässt, wird Schlingensief doch wieder auch auf der Bühne zu sehen sein. Als Fortinbras: Der Prinz von Norwegen, laut Schlingensief "aggressiv nach außen, während Hamlet quasi nach innen wütet" –, er führt sich laut Ralf Vollmann am Ende "als der neue Herr auf, und es wird nichts mehr faul sein in Dänemark, zumal die, die das meinten, alle tot sind". (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 5. 2001)