Ute Woltron / DER STANDARD: Was halten Sie vom Prinzip Wettbewerb?

Roland Rainer: Der Wettbewerb ist nicht nur in der Architektur, sondern auf fast allen Gebieten das natürliche Ausleseprinzip. Das beginnt mit der Biologie und endet mit der Architektur, was nicht sagen soll, dass es dort das Schlechteste ist - was man allerdings manchmal glauben könnte.

STANDARD: Was führt Sie zu diesem Glauben?

Rainer: Die Erfahrung, vor allem der letzten Zeit. Architektur ist immer eine Aufgabe, die von sehr vielen verschiedenen Elementen beeinflusst ist. Das sind die künstlerischen, es sind aber auch die wirtschaftlichen und die politischen Aspekte. Wenn alle diese Elemente zusammen zu einem Ergebnis führen sollen, dann kann es eine Menge Probleme und Ungenauigkeiten und auch Missbrauch geben. Trotzdem bleibt der Wettbewerb die notwendige Art der Auslese, gerade auch in der Architektur.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Rahmenbedingungen, unter denen Wettbewerbe heute stattfinden, passend sind, oder wären Verbesserungen notwendig?

Rainer: Ich glaube, dass sie, so wie vieles andere heute, zu bürokratisiert sind. Aber das ist schwer abzuwägen. Meine großen Aufträge, die meine Arbeit als junger Architekt bestimmt haben, habe ich durchwegs aus Wettbewerben erhalten, wie etwa 1953 im Falle der Wiener Stadthalle. Wichtig ist: Es geht bei einem Wettbewerb meist nicht um die Lösung einer normalen Bauaufgabe, sondern um die Erörterung neuer Fragestellungen. Das heißt, je ungewohnter und spezieller eine Aufgabe ist, desto notwendiger ist es, eine große Zahl von Vorschlägen einzuholen. Außerdem macht man glücklicherweise nicht nur bei Großbauten Wettbewerbe. Selbstverständlich kann auch der Gedanke einer Siedlung, eines Kindergartens, einer Schule sehr wohl dieser allgemeinen Mühe wert sein. Ich bin der Meinung, man veranstaltet prinzipiell viel zu wenig Wettbewerbe.

STANDARD: Hatten Sie negative Erfahrungen mit Wettbewerbsverfahren?

Rainer: Die negativen Erfahrungen gibt es, vor allem, wenn man den Eindruck gewinnt, dass eben nicht der beste Entwurf prämiert wurde. Andererseits - welcher ist aber der beste Entwurf? Und da sind wir an einem irrationalen Punkt angelangt, denn es gibt die verschiedensten Bewertungskriterien, sachliche, technische, künstlerische, und dann gibt auch den kommerziell besten Entwurf. Aber wer entscheidet?

STANDARD: Um den kommerziell besten Entwurf zu finden bedarf es eigentlich keines Wettbewerbs.

Rainer: Das ist natürlich auch ein Gesichtspunkt. Ist Architektur eine kommerzielle Angelegenheit? Bis zu einem gewissen Grad natürlich. Ich habe nichts gegen wirtschaftlich optimale Lösungen, aber wenn gelegentlich Kritik geübt wird, dann weniger weil man einen Gesichtspunkt wie die Wirtschaftlichkeit ungebührlich in den Vordergrund gestellt hat, sondern weil überhaupt kein anderer Gesichtspunkt da ist, als irgendein persönlicher Vorteil. Das zu entscheiden ist sehr schwer und hängt von den Persönlichkeiten ab, die in der Jury sitzen.

STANDARD: Der Bauherr kann mit der Jurybesetzung den Wettbewerbsausgang bestimmen?

Rainer: Im höchsten Grade. Mit der Bestimmung der Jury entscheidet er bereits, ob er die sachlich beste Lösung kriegt, oder eine, die irgend welchen persönlichen oder politischen Interessen entspricht. Es gibt kaum etwas, das komplizierter ist, von mehr Einflüssen abhängt und labiler ist, als ein Wettbewerb. Gerade wird eine Wettbewerbsentscheidung sehr kritisiert. Das sollte man sich vorbehalten dürfen. Sicherlich müsste jede Jury dazu bereit sein, in der Öffentlichkeit zu allen Einzelheiten Stellung zu nehmen, alles dazu beizutragen, dass die Ursachen einer Entscheidung geklärt werden.

STANDARD: Der Trend geht derzeit allerdings genau in die Gegenrichtung. Viele Wettbewerbsergebnisse werden derzeit nicht einmal öffentlich präsentiert.

Rainer: Architektur ist keine Privatsache, sondern eine Angelegenheit, die diese Umwelt, in der wir leben, in hohem Grad bestimmt. Architektur ist eine res publica, und das hören Leute nicht gern, die ihr Geld investieren. Doch ein Wettbewerb ist nicht nur dazu da, dass Geld gut angewendet wird, sondern dazu, eine öffentliche Aufgabe auf das allerbeste zu lösen. Aus öffentlichen Diskussionen zu diesen Fragen könnte sehr viel gewonnen werden, an Information über Architektur, über die Gestalt des Raumes und der Stadt.

STANDARD: Sie selbst sind mit Wettbewerben groß geworden. Derzeit hat man den Eindruck, als ob in Wien immer dieselben Arrivierten zum Bau kämen. Ist das so, weil die Älteren so gut oder die Jüngeren so schlecht sind?

Rainer: Die Jungen sind meiner Erfahrung nach sogar sehr gut. Welcher Architekt wirklich als gut angesehen wird, ist oft Sache des Vorurteils. Ich erinnere mich an die Zeit, als Clemens Holzmeister noch ein bedeutender und einflussreicher Mann war. Da war er oft in Jurys, und es gab Fälle, wo die Träger des ersten Preises ihn dann am Bau beteiligt haben. Im Falle des Funkhauses zum Beispiel, wo er die Fassade machte. Oder bei der Reichsbrücke, wo er die Lampen entwarf. Irgendwo hat man einem prominenten Architekten da Dinge zugebilligt, die außerhalb der Norm waren. Man kann nicht sagen, dass das korrupt war, denn schließlich haben alle gemeint, sie seien dafür. Doch hier liegt eine Möglichkeit der Beeinflussung, der Ungenauigkeit, der Missverständnisse, die ungeheuer ist. Die augenblicklich dominierenden Persönlichkeiten wie Holzbauer, Peichl und auch Hollein kommen aus der Schule Holzmeisters, und der war ein Symbol für eine bestimmte Art von Architektur, aber auch für eine verhältnismäßig kluge und geschickte Taktik.

STANDARD: Hollein hat hierzulande allerdings nur wenige Wettbewerbe gewonnen.

Rainer: Er ist weniger der Macher als der sicherlich künstlerisch Potensteste der Gruppe. Aber es ist mir zum Beispiel unbegreiflich, dass Holzbauer, der reine Machtarchitektur macht, einen derartigen Aufschwung erlebt. Ich führe das auf die Regierungsumbildung zurück.

STANDARD: Die politische Machtentwicklung spiegelt sich direkt in der Architektur wider?

Rainer: Sicher, ist doch ganz klar, Denken Sie an die Wiener Stadtentwicklung in den Zwanzigerjahren: Sehr gut. Die Entwicklung jetzt: weniger gut. Niemals war das deutlicher. Ohne Macht wird's nie gehen. Solange sie demokratisch ist, geht es, aber sie rutscht leicht in die Demokratur ab. In manchen Fällen hat der Zugriff der Macht alles zerstört, das klassische Beispiel dafür ist das Museumsquartier. Wer hat da nicht alles dreingeredet.

STANDARD: Eine intelligente und auch verbindliche Wettbewerbsordnung tut Not?

Rainer: Man muss darauf achten, dass die Sachen zumindest korrekt und sinnvoll abgewickelt werden. Die Verhältnisse hier sind sicher in einigen Punkten verbesserungsbedürftig. Jurys nehmen die Sache gelegentlich offenkundig nicht sehr ernst. Vor allem der Bauherr, der öffentliche Gelder verwaltet, ist in besonderem Maße verpflichtet, allerhöchste Kriterien anzuwenden.

STANDARD: Würde sich etwas bessern, wenn Wien endlich die Wettbewerbsordnung für Architekten anerkennen würde?

Rainer: Sicherlich wäre das das Logische, doch wer kann sie zwingen? Letzten Endes kann eine gewisse Kontrolle dadurch entstehen, dass sich Medien intensiv mit diesen Dingen beschäftigen und klar berichten. Es hat ja einen Grund, wenn eine öffentliche Einrichtung wie die Stadt Wien die Öffentlichkeit ausschaltet. Wir haben viel zu wenig offene Diskussion über Architektur. Architektur ist Lebensraum, über den immer wieder geredet werden muss, und zwar sachlich und nicht über Geschmacksfragen.
(DER STANDARD, ALBUM, 28./29. 4. 2001)