Inland
Zurück zur Inquisition?
Justizminister Böhmdorfer plant die Reform der Strafprozessordnung - DER STANDARD zeigt die Schwächen des Entwurfs auf
Wien - Dass Reformbedarf besteht, ist
unbestritten. Schließlich geht
die geltende Strafprozessordnung auf das Jahr 1873 zurück. An einer zeitgemäßen
Strafprozessordnung wird daher seit über zwanzig Jahren
gearbeitet. Nun wurde der
endgültige Entwurf fertiggestellt, den Justizminister
Dieter Böhmdorfer am Mittwoch dem Ministerrat vorgelegt hat. Der Entwurf soll bis
September 2001 begutachtet
werden. Mit dem Inkrafttreten
der neuen Strafprozessordnung ist nicht vor 2004 zu
rechnen.200 Paragraphen
Der lange Vorlauf für das
Gesetz hat gute Gründe. Geändert werden rund 200 Paragraphen, die tief in andere
Rechtsbereiche hineinspielen. Doppelt heikel ist die Reform der Strafprozessordnung
deshalb, weil es hier um die
Regelung von Verhältnissen
geht, die in Grundrechte eingreifen. Denn die Strafprozessordnung schreibt vor,
welche Rechte jemand hat, gegen den ein Vorwurf erhoben
wird, und wie Beschuldigte,
die bis zum endgültigen Richterspruch als unschuldig zu
gelten haben, die Rechte geltend machen können. Was
darf die Polizei, was der Ankläger, welche Rechte haben
Beschuldigte und Verteidiger,
welche stehen dem Opfer zu?
All diese Fragen regelt die
Strafprozessordnung, und es
hat Jahrhunderte gedauert, bis
ausbalancierte Spielregeln
entwickelt wurden.
Die Schwächen des Entwurfs
Hier liegt eine der größten
Schwächen des Entwurfs.
Denn seit den Zeiten der Inquisition gilt der Grundsatz,
dass jene, die ermitteln, nicht
entscheiden sollen. Durch die
neue Prozessordnung werden
die Machtbefugnisse des
Staatsanwalts wesentlich ausgebaut. Er leitet das Vorverfahren und kann den ermittelnden Kriminalisten die
Weisung auf Einstellung oder
auf weiteres Vorantreiben der
Untersuchungen geben. "Herr
des Verfahrens" war bisher
der unabhängige Untersuchungsrichter, der abgeschafft
wird.
Inquisitorische Regeln
Durch die neue Rolle des
Staatsanwalts kommt es jedoch zum Rückgriff auf inquisitorische Regeln. Der Grundsatz der Trennung zwischen
ermittelnder und entscheidender Behörde wird bei der
Diversion völlig aufgehoben.
Über den Einsatz diversioneller Mittel (z.
B. Geldbußen)
entscheidet der Staatsanwalt
schon jetzt im Alleingang, dazu kommt nun seine neue
Rolle. Dass diese Rückkehr zu
inquisitorischen Verfahrensformen sehr wohl enorme Bedeutung hat, zeigt die Praxis.
Die Behörden tendieren bei
komplexen Wirtschaftsverfahren dazu (siehe der Fall des
deutschen Bundeskanzlers
Helmut Kohl), Geldbußen
auszuverhandeln, um sich die
mühevolle Aufklärungsarbeit
zu ersparen.
Unkontrollierte Diversion
Problematisch ist der unkontrollierte Einsatz der Diversion auch bei der Gewalt in
der Familie, weil hier der Opferschutz oft zu kurz kommt.
Das verstärkt die neue Prozessordnung. Den Opfer
wurde nicht der Status von
Verfahrensparteien zuerkannt. Sie werden zwar immer
wieder erwähnt, aber welche
Rechte ihnen letztendlich
zustehen, ist unklar. "Sie sind
weder Fisch noch Fleisch. Das
ist ziemlich unzeitgemäß, was
da gemacht wird", formuliert
ein prominenter Kritiker des
Entwurfs.
Als rechtspolitisch schädlich wird auch der Ausbau der
Verwertungsverbote von Beweisen gewertet. Es ist nicht
einzusehen, dass der Staat
seine Aufgabe der Strafverfolgung überhaupt bleiben lasse,
nur weil ein Kripobeamter einen kleinen Fehler gemacht
hat, indem er z. B. die Belehrung vergessen hat. Vor allem
Vergewaltigungsopfer leiden
schon jetzt unter der Überbewertung solcher Fragen. Dazu
kommt, dass etliche Fälle den
Unabhängigen Verwaltungssenaten (UVS) zur Überprüfung entzogen werden. Das ist
verfassungsrechtlich bedenklich.
Unterentwickelt sind im
Entwurf außerdem die Rechte
von (Dritt-)Betroffenen. Es
fehlt z.B. eine Regelung, wie
man sich im Fall einer nicht
korrekten Hausdurchsuchung
wehren kann. Übermäßig ausgebaut sind dagegen die Befugnisse der Polizei. Was doppelt schwer wiegt, weil es kein
Rechtsmittel dagegen gibt.
Weisungsgebundenheit
Überlagert werden alle diese nicht unwesentlichen Kritikpunkte aber von der Tatsache, dass der mächtige Staatsanwalt weiterhin den Weisungen des Justizministers
untersteht. Dieter Böhmdorfer
(FPÖ) ist nicht bereit, auf sein
Weisungsrecht zu verzichten,
dessen Abschaffung seine Partei jahrzehntelang vehement
gefordert hat. Er wird wissen,
warum: Denn die Tatsache,
dass in Österreich die politische Verantwortung von Regierungsmitgliedern de facto
nicht existiert, macht ihn in
Kombination mit der neuen
Strafprozessordnung zu einem der mächtigsten Politiker
des Landes. Er ist der absolute
Herr über die Frage, wem der
Prozess gemacht wird oder nicht. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 3. 5. 2001)