Der 82-jährige Andreotti will die politische Mitte wiederbeleben
,
Nichts könnte Giulio Andreottis politische Laufbahn anschaulicher verdeutlichen als
die Fotosammlung in seinem
Empfangszimmer. Fein säuberlich aufgereiht, in silbernen Rahmen, mit handgeschriebener Widmung präsentiert sich die Galerie der Mächtigen, mit denen er zu tun hatte: leicht verblasst die US-Präsidenten Eisenhower, Nixon,
Ford, Carter, Reagan, die deutschen Bundeskanzler von
Konrad Adenauer bis Helmut
Kohl, Kaiser Haile Selassie
von Äthiopien, König Fahd
und die Queen. Die wichtigsten stehen in der untersten
Reihe: die Päpste Pius
XII.,
Paul
VI., Johannes
XXIII. und
Johannes Paul
II. und Andreottis politischer Ziehvater
Alcide De Gasperi, christdemokratischer Parteichef und
erster Ministerpräsident Italiens nach dem Krieg. Dessen
Widmung stammt aus dem
Jahre 1952. Da war der strebsame Katholik Andreotti bereits mehrere Jahre Staatssekretär. Ein halbes Jahrhundert
später tourt der Unverwüstliche wieder im Wahlkampf
durch Italien.
Er hat alles unbeschadet
überlebt: die politischen Niederlagen, die unzähligen Grabenkämpfe in seiner Partei,
die Ermordung seines DC-Kollegen Aldo Moro, den
endlosen Mafiaprozess in Palermo. Das Gerücht, Silvio
Berlusconi wünsche ihn als
Außenminister, quittiert er
mit einem Schmunzeln. "Ich
nehme keine politischen Ämter mehr an", versichert er im
Standard-Gespräch. "Aber
wenn ich meinen Parteifreunden behilflich sein kann,
tu’ ich das gerne." Dabei weiß
der Senator auf Lebenszeit natürlich, dass die neu gegründete Partei Democrazia europea mit seinem Namen steht
und fällt. Was ihm Unbehagen
bereitet, ist die zunehmende
Spaltung der politischen
Landschaft in zwei große Blöcke. Ihr will er mit einer Partei
der Mitte entgegenwirken.
Aber sein eigentlicher Traum
ist eine Neugründung der Democrazia Cristiana. Ein utopisches Ziel angesichts der Tatsache, dass am 13. Mai gleich
fünf christdemokratische Parteien ins Rennen gehen. "Wir
brauchen einen Achtungserfolg", sagt Andreotti auf dem
Weg zum Teatro Brancaccio,
wo laut Plakat eine "Begeg 4. Spalte
nung mit Jugendlichen" stattfinden soll.
Giulio-Sprechchöre
Die Stimmung im Theater
erinnert an ein Stadion. Über
1000 Jugendliche begrüßen
den 82-Jährigen mit Sprechchören. Jedesmal, wenn Andreotti das Wort ergreift, werden Hunderte Fahnen geschwungen, Konfetti regnen
ins Parkett, Luftballons steigen an die Decke. Dem von der
Politik enttäuschten Studenten Lorenzo, der Stimmenthaltung ankündigt, macht Andreotti einen Vorschlag: "Leih
uns vorerst deine Stimme.
Und entscheide dann, ob unser Handeln deinen Erwartungen entspricht." "Giulio,
Giulio...", tönen die Sprechchöre. Andreottis sprichwörtliche Ironie reißt das jugendliche Publikum immer wieder
zu Beifallsstürmen hin. Die
21-jährige Studentin Cinzia,
die auf der Tribüne begeistert
die Parteifahne schwingt,
bringt es auf den Punkt: "Keiner ist jünger als Giulio." Der
Angesprochene pflegt sich
nüchterner auszudrücken:
"Totgesagte" - stellt er mit ironischem Schmunzeln fest -
"haben schon immer etwas
länger gelebt." (DerStandard,Print-Ausgabe,3.5.2001)
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