St. Pölten - Die Sehnsuchtsschrammen trägt der Prinz Leonce wie Michael Jackson unter dem Alltagspuder royal versteckt. Was maximal nach außen dringt, ist der Traum vom schönen Land Italien. Romantik ist bei Georg Büchner aber nur mehr Zitat, und deshalb ist Italien nirgendwo oder schlichtweg Neckermann (durchorganisiert, fremdbestimmt). Wie schlüssig klingt es, wenn sich Tilman Sack jetzt auf den Ungeist der Industriellen Revolution rückbesinnt, auf den Maschinenmenschen, und diesen - hoppla! - ins technologische Zeitalter vorrückt. Seinen Leonce, das sich sinnentleert fühlende Subjekt, gabelt er jedenfalls vor dem Computer-Bildschirm auf. Eine Idee gegen ein ganzes Königreich!
Leonce auf dem Dach
Der Prinz (Sebastian Pass) ist ein in Watte gepackter Chatroom-Knabe (der Hofstaat ein Heer von Wattestäbchen, Kostüme: Andreas Schmid), der von Karli oder Sabinchen via Internet irgendwann gefragt wird, wie es denn um seine Langeweile bestellt sei. Ist ihm fad? - "Jaaaaaaaaaaa!" wird schriftlich rekurriert, und es hätte das der Geburtsschrei Leoncens hinein in jenes Stück sein sollen, welches seit vergangenem Samstag im St. Pöltener Landestheater läuft. Auf den Leonce aber war das dort angelegte Lustspiel ( Leonce und Lena ) gar nicht gefasst! Als größte Störung empfindet die von Tilman Sack geleitete Produktion seine eigene Vorlage. Dabei wäre von dieser der hier gewählte Schauplatz eines Hochhausdaches tatsächlich vorzugsweise abzulesen gewesen. Man stelle sich vor: Ein Hofstaat verkrümelt sich hoch hinauf in die Skyline und vermeldet von dort wie in einem Wunderland den Boykott gegen die Weltbetriebsamkeit. Unter dem Theaterdach der Landeshauptstadt verweist aber lediglich eine gemalte Häuserfassade im (ohnehin verdeckten) Bühnenhintergrund auf das pompöse Konzept. Die Umsetzung gerinnt zur Irreführung
Die Simpsons
Die unvorteilhafte Drehbühne fährt ein hässliches dreiseitiges Gebälk im Kreis spazieren, welches von Zeit zu Zeit die Großleinwand (z.B. Chat) vor Augen führt. So betrügt man sich um die Schauspielkunst, kann aber den zur Pompadour erkrankten König Peter (Helmut Wiesinger) dann unnötig via Videoaufnahme en détail fokussieren. Ferner dachte der Regisseur (berechtigt), so königlich dumm wie der Hofstaat im Reiche Popo sind allenfalls noch die Simpsons, und lässt zwischendurch auch noch den Comic über die Leinwand flimmern. Unmotiviert. Basta: Stück renoviert, Ideen verwertet (die Schlussmasken sind ganz kühn ins Gesicht geklatschte Computer-Festplatten). Und: Büchner tot. Das Stück (und vor allem der Text) hält dem gewaltigen Verwertungsdrang des Regisseurs bei weitem nicht stand. Es rennt von Anfang an geradewegs in den Kollaps. In der aufwendigen Arbeit fehlt leider die Bestimmtheit, der Entscheid zur Wegnahme. Dabei ist Leonce und Lena das poetische und ästhetische Festhalten am Vergeblichkeitstraum. Gerade an diesem hängt Leonce wie kein anderer Aussteiger der Welt mit der schönsten unentschlossenen Entschlossenheit. Fast so wie Michael Jackson. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 5. 2001)