In Berlin wertete man die bisherigen Reaktionen auf die Vorschläge des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder für eine radikale Reform der EU als prinzipiell positiv. So habe es bei den wichtigsten Partnern keine schroffe Ablehnung gegeben, hieß es in SPD-Kreisen. Dass die Reaktionen eher vorsichtig seien, sei verständlich, da die Vorschläge vorher nicht mit anderen Parteien oder Regierungen - nicht einmal Frankreich - abgestimmt worden seien.

Als erster Regierungschef eines EU-Landes hatte Schröder seine Vorstellungen von einer neuen Aufgabenverteilung in der EU in einem Antragsentwurf für den SPD-Parteitag präzisiert. Der Vorschlag sieht die Schaffung einer "starken europäischen Exekutive" vor, die aus der Kommission entstehen soll. Der EU-Ministerrat soll in eine zweite Kammer des Europaparlaments umgewandelt werden. Das Europaparlament soll durch die volle Budgethoheit gestärkt werden. Außerdem sollen Kompetenzen, etwa bei der Strukturförderung, auf die nationale Ebene rückverlagert werden.

Schröders Vorschläge seien zwar ein "neuer Beitrag in der Debatte über die Zukunft Europas", aber "auf der Linie der deutschen Positionen, die wir gut kennen", so ein Sprecher des Pariser Außenministeriums. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hatte ähnliche Vorstellungen im Mai 2000 verkündet, seinen Schwerpunkt aber auf eine europäische Verfassung gelegt und eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten gefordert. Ein Sprecher des britischen Premierministers Tony Blair erklärte, Blair begrüße den deutschen Beitrag zur EU-Diskussion. Mit Blick auf eine zweite Parlamentskammer sagte er, Blair wolle sie aus Abgeordneten der nationalen Parlamente bilden. Die EU-Kommission begrüßte Schröders Vorschläge grundsätzlich. Der Sprecher des belgischen Außenministeriums hob "das Bemühen, das Demokratiedefizit anzugehen", als positiv hervor. Teile des Vorschlags entsprächen Vorstellungen Belgiens, das im Juli die EU-Präsidentschaft übernimmt. Positiv reagierten auch die Niederlande, als "unrealistisch" bezeichneten die dänischen Sozialdemokraten den Vorschlag, den Ministerrat in eine Staatenkammer umzuwandeln.

Nach Angaben von SPD-Geschäftsführer Franz Müntefering wurden Details bewusst offen gelassen, um eine Debatte und Weiterentwicklung zu ermöglichen. Die Reformvorschläge sollen im Zentrum eines Treffens der Sozialdemokratischen Partei Europas Anfang kommender Woche in Berlin stehen, zu der auch Blair und Frankreichs Premier Lionel Jospin kommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2001)