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Lieber Jacques Le Rider! Wir kennen einander seit sechzehn Jahren und haben beide die Arbeit des anderen mit Interesse, Sympathie und Respekt verfolgt; das gibt mir wohl das Recht, auf Deinen Brief vom 13. 2., in dem Du Österreich ein Defizit an "guter demokratischer Sitte" attestierst, zu reagieren. Schon die Lektüre Deines Österreich-Tagebuchs vom Juli/August des vergangenen Jahres war auf mehrere Weise ein schmerzliches Erlebnis. Dass Du die Sanktionen "nicht ohne Befriedigung" registriert hast, habe ich als politische Stellungnahme akzeptiert. Deine höchstpersönliche Begründung der Berechtigung der Sanktionen, die Kategorie vom "symbolischen Nazismus", die Du zur Beschreibung Haiders entwickelt hast, habe ich allerdings für ähnlich unbefriedigend gefunden, wie alle Versuche, Haider in eine Formel zu pressen. Ab dem Gedanken, dass Schüssel die Symbolfigur einer "verhaiderten Rechten" sei, hatte ich den Eindruck, dass hier einiges verdreht wird - vor allem in den Passagen über den "entfesselten Chauvinismus" als dem "wahren Gesicht Österreichs" und in den Vergleichen zwischen Österreich und dem Serbien des Slobodan Milosevic und dem Irak Saddam Husseins. Irgendwann also ging es nicht mehr um das politische Individuum Jacques Le Rider, sondern um einen Intellektuellen, von dem ich präzise Formulierungen gewohnt war. Deinen Satz, dass man die österreichische Literatur und auch die Wiener Moderne in den letzten drei Jahrzehnten "überschätzt" hätte, habe ich mit Bedauern gelesen. Wenn es dieses "Überschätzen" als internationale Strömung wirklich gegeben hat, dann warst Du ja einer der Hauptverantwortlichen dafür. Es muss Dir schwer gefallen sein, einen Satz zu schreiben, der Dein großes Buch Das Ende der Illusion in gewisser Weise zurücknimmt - immerhin ist es ja eine Deiner Thesen, dass das Wien der Jahrhundertwende eine der Quellen der Postmoderne darstelle. Was mich daran gehindert hat, Dir schon damals zu schreiben, war das Wissen um die Hitze des Gefechts. Ich habe mir also erlaubt, Dein Tagebuch als den Text eines "Übertreibungskünstlers" zu lesen und damit als Bewerbungsschreiben um die "symbolische" österreichische Staatsbürgerschaft. Jetzt lese ich allerdings in Deinem jüngsten Text, die "franko-österreichischen Beziehungen seien am Nullpunkt". Ich frage den Literaturwissenschafter und den Diplomaten Le Rider: Was meinst Du damit? Als subventionierter Reisender in Sachen Kultur und Weltfrieden habe ich gelernt, beim Ausbringen von Toasts vorsichtig zu sein. Man trinkt also zunächst einmal auf die Freundschaft Österreichs zum Gastland und dann auf die des Gastlandes zu Österreich - eine einseitige Definition gilt als hegemonial und damit unhöflich. Also noch einmal, Herr Attaché, meinst Du mit dem Wortmonster die wechselseitigen Beziehungen unserer Länder? Da möchte ich einmal, was die "austro-frankischen" (um auch ein Wortmonster beizusteuern) betrifft, protestieren. Nicht einmal aus der Zeit der Sanktionen ist mir ein faktischer aggressiver Akt gegen Frankreich in Erinnerung: Kein französischer Schüler wurden ausgeladen, keinem französischen Sportler wurde der bürgermeisterliche Handschlag verweigert. Dass das österreichische Kulturinstitut in Paris geschlossen wird, bedaure auch ich, doch das ist wohl keine spezielle Aggression Österreichs gegen Frankreich. Auch andere Kulturinstitute werden evaluiert und sind von der Schließung bedroht; ich denke, Du weißt aus Deiner Zeit als Leiter des französischen Kulturinstituts in Wien, dass diese Institutionen die Kultur ihres Landes nicht mehr optimal repräsentieren. Auch die "franko-österreichischen Beziehungen" scheinen mir nicht so schlecht. Die Universität Metz und die Wiener Universität haben - während der Sanktionen! - ein Kooperationsabkommen geschlossen; eine Arbeitsgruppe von Spezialisten und Spezialistinnen wird sich mit zentralen Fragen der Erforschung der österreichischen Kultur beschäftigen, Studierende aus Frankreich kommen nach Wien, und man wird in absehbarer Zeit Gastprofessuren einrichten. Gibt es hier nicht auch eine "Normalisierung" und bist Du nicht der "letzte Mohikaner" eines "Widerstandes", über den in Österreich bereits Intellektuelle spotten, die der Regierung durchaus kritisch gegenüberstehen? Deine Arbeiten über Otto Weininger und seine Zeit haben uns Österreichern geholfen, die dunklen Seiten unserer Geschichte besser zu verstehen - es täte mir leid, wenn Du an die Stelle Deiner früheren subtilen Überlegungen unhaltbare Vereinfachungen setzen würdest. Mit Respekt Alfred Pfabigan (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 2. 2001)