Wien - Das Programmheft ziert ein Foto, das den Titel "An der Mauer" trägt. Man sieht darauf einen, der ansteht. Mit seinem Kunststoff-Auto anfährt gegen Betonplatten und Stacheldraht, die einen Landstrich teilen. Der Himmel - nur ein kleiner grauer Streifen am Horizont:

Der geteilte Himmel, entlehnt von Christa Wolfs Roman beziehungsweise dessen Verfilmung aus dem Jahr 1964, lautet das Motto der aktuellen Retrospektive des Filmarchivs Austria. Der Untertitel, Höhepunkte des DEFA-Kinos 1946 bis 1992, erklärt, worum es geht - um das Filmschaffen des zweiten deutschen Staates, das nicht nur aufgrund seiner historischen Abgeschlossenheit eine Besonderheit darstellt:

Das DEFA-Kino war (auch) eine staatstragende Angelegenheit. 1946 als Filmemacher-Kollektiv von den sowjetischen Besatzungsbehörden lizensiert und ein Jahr später zur Produktions- und Verleihfirma erweitert, wurde die Deutsche Film AG 1953 zum offiziellen Filmunternehmen der DDR - und blieb dieses bis zur Wiedervereinigung.

Der staatliche Auftrag, den einige Filmemacher durchaus eigenwillig "ausführten", bedingte auch Zensur in unterschiedlichsten Spielarten bis hin zum notorischen Eingriff des Zentralkomitees der SED, das 1965 die gesamte Jahres-Spielfilmproduktion einzog, darunter Kurt Maetzigs Das Kaninchen bin ich oder Frank Beyers Spur der Steine.

Das DEFA-Kino ist also mit seinem spezifischen historischen und politischen Kontext weit unmittelbarer verbunden als andere Produktionsstätten, die ihr erweitertes Umfeld auch (und gerade) ausblenden konnten. Wenngleich der Umfang der Schau mit über hundert Spielfilmen sowie Dokumentarfilmen und ergänzenden Wochenschaubeiträgen kaum erlaubt, ein großes, vereinheitlichendes Paradigma anzulegen, so kann man doch gewisse "Merkmale" ausmachen:

Die Erzählungen und die handelnden (werktätigen) Personen sind konkret verortet - realistische Bilder von Wohnhäusern, Fabrikshallen oder Baustellen prägen diese filmische Landschaft.

Wenn in Peter Kahanes Generationenporträt Die Architekten (1990) ein Kollektiv längst entmutigter Städteplaner noch einmal mit Tatendrang an die Entwicklung eines neuen Typus von Gemeinschaftseinrichtungen in einer Plattenbausiedlung an der Berliner Peripherie geht, dann rücken die Personen mitunter ganz in den Hintergrund angesichts der Aufnahmen von geschlossenen Hochhaus-Ensembles oder verfallener Altbauten, durch die am Ende aus dem Off verhalten Kinderstimmen schallen, die "Unsere Heimat, die schöne" singen.

Ein anderes spezifisches Merkmal ist der zentrale Stellenwert, den das Kollektiv in den Erzählungen einnimmt. Zumal wenn man es mit westlichem Industriekino vergleicht, mit dessen illusionistischem Gestus und den "Heldenerzählungen", die den Einzelnen von gesellschaftlichen Zusammenhängen abheben, von alltäglichen Verpflichtungen und Mühsalen entbinden - ein Vergleich, der übrigens auch im Rahmen der Schau als punktuelles Angebot Sinn gemacht hätte.

Ob im Drama Fünf Patronenhülsen, das im Spanischen Bürgerkrieg angesiedelt ist und dessen Helden der gemeinsame Kampf gegen den Faschismus eint. Oder im Kolportagekrimi Die Glatzkopfbande (1962) von Richard Groschopp, in dem eine Art Vorläufer von Kommissar Rex antritt, um verantwortungslose "negative Elemente" aufzuspüren, die - so die doppelt gewappnete Überzeugungsstrategie des Films - nicht nur als Halbstarke unangenehm auffallen, sondern auch durch ihre schlampige Arbeit am Bau den Tod zweier Kollegen zu verantworten haben.

Sogar in Unterhaltungsfilmen wie dem Kult-Musical Heißer Sommer (Joachim Hasler, 1968) dreht sich letztlich alles um die Spannung zwischen Einzelinteressen und Gruppenwohl beziehungsweise um deren gelungene Synthese.

Vieles bliebe noch zu sagen: Man könnte etwa Schauspielerkarrieren verfolgen wie jene von Manfred Krug oder Armin Müller-Stahl, die vom Osten in den Westen führten. Sich mit differenzierten Frauenporträts auseinander setzen - wiederum untrennbar verbunden mit ihren Darstellerinnen: Angelika Domröse, Renate Krößner oder Katrin Saß. In jedem Fall lohnt es, sich in diesem riesigen, spannenden Filmfundus ausgiebig umzusehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 2. 2001)