DER STANDARD/Semotan
In einer der schwarzen Messen der Sprache, wie sie FPÖ-Veranstaltungen zelebrieren, sagte beim Wiener Landesparteitag am 7. 5. 2000 Hilmar Kabas über den Bundespräsidenten exakt dies: "Er hat sich wie ein Lump benommen, und es ist eine Schande, dass wir so einen Präsidenten haben." Damit hatte Kabas öffentlich eine strafbare Handlung - Ehrenbeleidigung im Sinne des § 117 STGB - begangen. Was mit dem Satz - es war ein Satz (". . . und es ist eine Schande . . .") und kein Einzelwort - seither geschah, sagt viel über die Technik der FPÖ, aber auch über die umgepolte politische Kultur des Landes. Deshalb einmal ganz ernst, und ohne auf die Spaßkultur ("Hump, Dump, Lumpi") einzusteigen, ein Blick auf diese Sprachverfahren: die Lingua tertiae republicae, LTR. Das Muster ist einfach: Zuerst wird etwas Unerhörtes und oft Strafbares gesagt, von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" bis zu "Lump" als Verunglimpfung eines Verfassungsorgans der Demokratie. Im zweiten Schritt wird relativiert: Nicht "Lump" habe er gesagt, so Kabas, sondern "so etwas wie Hump oder Dump". (Analog Karl Schnell am 28. 11.: ". . . bei uns im Pinzgau nennt man Lumpi einen Hund"). Im dritten Schritt prescht jemand aus der Partei vor und beginnt, das Opfer/Täter-Verhältnis umzukehren: erstens durch Verallgemeinerung - so drehte Peter Westenthaler den Satz um: Kabas hätte mit "Lump" nicht den Bundespräsidenten gemeint, "sondern alle, die Österreich vernadern". Mit solcher Verallgemeinerung wird - wie oft im Newspeak der FPÖ - geschickt ein allgemein dumpf anwesendes (und in den Sanktionsmonaten auch von der ÖVP massiv geschürtes) Ressentiment angestoßen: Das arme Österreich wird von "allen" nur "vernadert". Wer ist "alle"? Und warum wird subtil die Vorannahme unterschoben, dass überhaupt irgendwer "vernadert" - ein emotionales Wort, ursprünglich aus der Halbwelt- Sprache? Zweiter Teil des Gegenangriffs: Da alle gegen "uns" sind, ist es natürlich auch das Journalistenpack. Aus dieser Haltung heraus kann Susanne Riess-Passer dem Bundespräsidenten versichern, dass die von vier Journalisten gehörte Äußerung "so" nicht gefallen sei. Im Klartext: Die vier "selbst ernannten" (Riess-Passer) Ohrenzeugen lügen. Um die eigene Lüge souverän zu präsentieren, wechselt die Vizekanzlerin von der emotionalen Sprache in eine Sachsprache, die scheinbar Fakten präsentiert: Die Präsidentenkanzlei habe ihre Richtigstellung "zur Kenntnis genommen" (die Kanzlei verlautbarte aber vielmehr im Gegenteil: "Äußerungen dieser Art bestätigen nur die Vorbehalte gegenüber der FPÖ im In- und Ausland"). Von der Bewusstseinsmanipulation durch Aufweichungen her betrachtet ist zu sagen: Die "Wende" war keine, sondern nur die Verschärfung des Krieges mit denselben Mitteln, wobei die Techniken auch von der ÖVP schnell übernommen wurden (Wolfgang Schüssel, noch als Außenminister, über den Präsidenten der Deutschen Bundesbank: "Sau"). Das Sprachmuster ist: Schaffen Sie ein einfaches Weltbild in klotziger Sprache, die komplizierte Sachfragen auf simple emotionale Feindbilder bringt und immer nur eine Wahlmöglichkeit offen lässt: Hier steht das gute "Wir", dort die bösen "Anderen". Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, wer nicht lügt, lügt erst recht. Was heute gilt, gilt am Tag darauf "selbstverständlich" nicht mehr. Das heißt: Logische Grundsätze wie die Widerspruchsfreiheit werden prinzipiell aufgehoben, und das bringt auch jegliche ethische Position ins Gleiten. Deshalb ist es ein massiver Fehler, auf dieses Sprachspiel einzusteigen und die Ironisierung und Selbst- aufhebung von Sätzen mitzumachen: Katastrophal, wie Journalisten nach der Kabas-Attacke gleich die Witterung aufnahmen und nach den Bedeutungen von "Hump" und "Dump" suchten - damit akzeptiert man stillschweigend die Verschiebung von Sachproblemen hin zu sprachlichen Fiktionen, zur Politik als Medienspiel. Die Umdeutungen von Situationen und Worten bilden aber das Prinzip der Lüge. In dem Augenblick, wo Lüge als selbstverständlich hingenommen und das Spiel mitgespielt wird, zerfällt die Voraussetzung für Argumentation. Das Gebot "Du sollst nicht lügen" war am Berg Sinai ja nicht an Einzelne gerichtet, sondern an die soziale Gruppe. Das Verbot sollte - so Kommentare zum Alten Testament - dem Schutz gesellschaftlichen Zusammenlebens dienen, für das klare Grenzen gezogen werden mussten. Wenn solche Grundlinien verschwimmen, zerfällt Argumentation. Zugleich damit wächst dann aber die Definitionsmacht einer wortmilitanten Herrschaftsgruppe: "Wahr ist, was wir gerade sagen." Armer Jürgen Habermas: Die ununterbrochene Sprachdiffusion im Wende-Österreich ist das stärkste Gegenargument gegen seine Theorie des kommunikativen Handelns. Die distanzierend-rationale, an Sachproblemen ausgerichtete Referenzsprache wird, wie Werner Ötsch zeigte, immer nur dann eingesetzt, wenn die Machtgruppe etwas relativieren will (Haider in einem profil-Interview zum Zweiten Weltkrieg: "Für mich hat es eine Ära gegeben, in der es zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist"). Ansonsten und im politischen Alltag herrscht emotionale Kampf-Sprache: "Lump", "Salon-Demokrat", "ausmisten". Verfemte Vernunft Der Philologe Victor Klemperer hat schon am Beginn des Nationalsozialismus dessen Sprach-Umbiegung analytisch in seinen Tagebüchern und in seiner Lingua Tertii Imperii (LTI) beobachtet und darin die Auflösung ethischer Kategorien erkannt: "Alles in dieser Sprache war Anruf, Aufpeitschung, Beschwörung." Jede Analyse wurde von Emotionalität überlagert, die LTI "kannte keinen Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache", sie kannte überhaupt keine Differenzierungen mehr, nur Diffamierungen - oder die eiskalte "Sachlichkeit " im Organisieren menschlichen Leids. Um keiner Unterstellung Vorschub zu leisten: Ich - ein im Übrigen nicht nur volks-, sondern gleich weltfremder Lyrikleser - will hier nicht Österreich mit Deutschland ab 1933 gleichsetzen. Dazu ist das Fundament von Hans Kelsens Verfassungsgebäude mit ihren Kontrollmechanismen glücklicherweise zu fest, trotz häufiger Verunglimpfung von Verfassungsorganen und Parlament durch die Regierungspartei FPÖ. Unübersehbar aber ist eine Teil- identität in den Manipulationstechniken: Eine Sprach- als Mähmaschine fährt über das Land und schichtet die Heubündel für einen großen emotionalen Musikantenstadel auf. Es ist ein Newspeak, der Schimpfwörter aus dem Keller des kollektiven Unbewussten holt und unentwegt Grenzen verletzt: Das heißt wohl "dem Volk aufs Maul schauen." Wer dagegen auf die Notwendigkeit rationaler Differenzierungen und die Gefahren der "terrible simplification" verweist, ist in der keine Alternativen erlaubenden Terminologie dieser Regierung wohl nur vaterlandsloser Geselle oder gar "Franzosenfreund". (Richard Reichensperger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.2.2001)