Wien - Blitze zucken bedrohlich, das Gitterwerk eines Käfigs zeichnet sich ab, dahinter thront eine finstere Gestalt. Der Vorspann von Errol Morris' Mr. Death - The Rise and Fall of Fred A. Leuchter, Jr. könnte vom genialen Dilettanten Ed Wood sein, der Beginn einer Roger-Corman-Produktion vielleicht - ein Stück "gothic horror", das als Beginn eines Dokumentarfilms mehr als sonderlich erscheint.

Von Morris, dem Exzentriker unter den US-Dokumentaristen, darf man das eigentlich erwarten: Schon in The Thin Blue Line, für den er das "neue" Genre des "non fiction feature" kreierte, rollte er den Mord an einem Highway-Cop mit nachgestellten Szenen nochmals auf und kam zu dem für die US-Justiz blamablen Ergebnis, dass der falsche Täter auf seine Hinrichtung wartet. Erst der Film bewog damals den Obersten Gerichtshof, das Urteil noch einmal zu überdenken - und den Mann schließlich freizusprechen.

Bevor sich Morris dem Filmemachen zuwandte, war er Detektiv. Das epistemologische Prinzip dieses Berufs, verwirrende Fakten zu ordnen, Indizien zu lesen, um einen Sachverhalt in seiner ganzen Dichte zu durchschauen, hat er in seine nächste Profession mitgenommen. Er benützt dabei - auch hierin einem Detektiv ähnlich - "unsaubere" Mittel: Bilder werden neu eingekleidet, musikalisch drapiert, "re-enactments" vorgenommen - ausgewiesene Fiktionalisierung als probates, der Erkenntnis dienliches Mittel begriffen.

Eine Rise-and-Fall-Geschichte legt nun zwar äußerlich eine gewisse Geschlossenheit nahe, allein der Lebenslauf Fred A. Leuchters hat einige Haken: Als Sohn eines Gefängnisarbeiters aus Tennessee offenbar dazu prädestiniert, wird Leuchter, ein unscheinbar wirkender Mann mit dicken Brillen, Experte für Exekutionsgeräte. Sein Bestreben ist es - als Verfechter der Todesstrafe, wie er einmal sagt -, die Hinrichtung "humaner" zu gestalten. Er bastelt im Keller an elektrischen Stühlen, entwirft schließlich eine Vorrichtung für Todesinjektionen: ein Techniker (ohne Lizenz), dem das Bewusstsein für größere Zusammenhänge fehlt.

Morris lässt ihn vor einem nüchternen Hintergrund reden, mit dem Stolz und Selbstbewusstsein des Dummen erzählt er von seiner Mission. Den kulturellen Kontext - etwa den berüchtigten Edison-Film von der Exekution eines Elefanten - webt Morris ein, zudem verfremdet er das Material, sucht förmlich nach einer passenden Darstellungsform dieses Sprechens und formt so allmählich ein Schauerstück aus der Realität.

Es kommt jedoch noch schlimmer. Leuchter gelangte als Sachverständiger und Zeuge der Verteidigung im Prozess gegen den Revisionisten und Neonazi Ernst Zündel zu trauriger Berühmtheit. Er sollte nachweisen, ob in Auschwitz tatsächlich Gaskammern im Einsatz waren. Mit Frau und Kameramann reist er tatsächlich nach Polen, kratzt Mauerwerk aus den Ruinen des KZs, steigt in Krematorien hinab und kommt zum Schluss: unmöglich, keine Reste von Zyklon B - der von David Irving publizierte Bericht wird zum Bestseller.

Man sieht das alles auf dem Originalvideo, den Abenteuertrip eines Toren, und kann es kaum glauben. Erst an dieser Stelle des Films tritt der Repräsentant der Aufklärung auf, der Historiker Robert Jan van Pelt, der Leuchter nicht bloß durch Dokumente berichtigt, sondern auch dessen Obszönität aufzeigt. Doch auch van Pelts Stimme der Vernunft - die einzige in Mr. Death - vermag das Unbehagen nicht zu zerstreuen, das dieser Film ganz bewusst auch inszenatorisch bereitet: Wo beginnt die Schuld dieses Mannes? Ist er ein Einzelfall? Wohl kaum, ist zu befürchten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14. 1. 2001)