Grafik: World Conservation Congress
Wien - "Man kann Soldaten leichter ins Gefecht schicken als ins Bett", berichtet Eyal Ben-Ari (Hebrew University, Jerusalem) dem STANDARD, "deshalb haben Militärforscher ein regelrechtes Schlafmanagement entwickelt." Das haben auch die Maori auf Neuseeland. Sie suchen den Schlaf - den gemeinsamen ganzer sozialer Verbände -, um an einer weniger blutigen Front voranzukommen: "Ihr Kollektivschlaf verbindet kulturelle und politische Aspekte", erklärt Toon van Meijl (Universität Nijmwegen), "die Maori wollen damit ihren Gemeinschaftsgeist stärken und ihre Existenz als Volk sichern." Ben-Ari und van Mejl sind Sozialforscher, die auf einer Tagung in Wien verschiedenste Aspekte der Nacht ausleuchten, etwa den des modernen Krieges, der die Nacht zum Tag macht und das "24-Stunden-Schlachtfeld" öffnet. Das sieht dann am Tag fast so aus wie in der Nacht: Der Gegner erscheint als Schemen auf Bildschirmen und Zielgeräten. "Diese physische Distanz macht das Töten einfacher", erklärt Ben-Ari das Dilemma des Militärs, "aber mit dem Ermüden erhöht sich die Hemmschwelle gegen das Töten." Zudem sollen die Kämpfer sich in die Maschinerie einpassen und doch - auch in Einsamkeit und Schrecken der Nacht - entscheidungsfähig bleiben. Zu all dem stattet etwa die US-Navy ihre Soldaten mit Schlaf-Messgeräten aus, die der Führung online sagen, welcher Soldat wann Ruhe braucht. Weil er sie selbst aber oft nicht will - er will lieber Professionalität und Männlichkeit beweisen -, arbeiten Militärärzte reichlich mit Schlafmitteln. Im Bauch des Ahnen Ganz anders die Ureinwohner Neuseelands, die Maori, die sich zu besonderen Gelegenheiten zu Hunderten in Ahnenhäusern versammeln und mit komplexen Ritualen - Reden, gemeinsamen Gesängen - in einen "eher nicht so guten Schlaf" wiegen, wie van Meijl als Gast erfahren hat. Für die Maori ist das Ganze ein Vergnügen - "we enjoy it", bekommt der Forscher immer zu hören - mit tiefem Hintersinn: In den gemeinsamen Ritualen vor und nach dem Schlaf stärken die Maori ihre Beziehungen zu den lebenden Verwandten, im Schlaf selbst suchen sie Kontakt mit ihren Wurzeln. "Der Grundriss des Hauses symbolisiert den Körper des Ahnen", erklärt van Meijl, "sie schlafen gewissermaßen in seinem Bauch." Das soll Kräfte bringen zum Wiedergewinnen all des in der Kolonialgeschichte verlorenen Terrains, das die Maori zu Unterprivilegierten im eigenen Land gemacht hat: Sie stellen 15 Prozent der Bevölkerung, aber über die Hälfte der Gefängnisinsassen, und ihre Lebenserwartung liegt zwanzig Prozent unter der der europäischen Einwanderer. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie gar schon auf weniger als ein Prozent dezimiert, nicht nur durch Kolonialtruppen, auch durch interne Auseinandersetzungen. Auch dagegen wird - traditionell schon lange, aber verstärkt seit den 60er-Jahren - gemeinsam angeschlafen. (Jürgen Langenbach, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 1. 2001).