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Das magische Jahr 1968 erlebte sie als Studentin: politische Revolte und sexuelles Patriarchat. Über symbolische Gesten, harte Kämpfe und die Männer von morgen sprach Anna Mitgutsch mit Cornelia Niedermeier . STANDARD: Frau Mitgutsch, 1968 fing also alles an? Mitgutsch : Ja, ich falle genau in diese Altersgruppe. 1968 war ich 20 und habe zu studieren begonnen. Und die Frauenbewegung ist ja, so wie ich das wahrgenommen habe, eigentlich aus der 68er-Bewegung herausgewachsen, aus dieser Unzufriedenheit, aus diesem Gefühl, dass wir nur die Zulieferinnen für die Männer waren. Einerseits war in dieser Studenten-Szene Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger Jahre alles unglaublich offen und neu - make love not war und so weiter -, gleichzeitig gab es da aber ein unerträgliches Patriarchat - und zwar bei den Gleichaltrigen, den Burschen. Und für die Männer war diese sexuelle Revolution ja ganz toll. Denn keine hat mehr sagen können, dass sie Angst vor Schwangerschaft habe. Die einzige Ausrede lautete: "Ich will nicht." Und das war damals politisch derart unkorrekt... Und dann diese Vorstellung, Beziehungen seien sowieso bürgerliches Besitzdenken - darunter haben wir Frauen gelitten wie die Schweine: Alle waren bekifft, und der Mann, mit dem man zusammen war, hat sich vergnügt, und man durfte kein bürgerliches Besitzdenken an den Tag legen. Das war schon hart. STANDARD: Also doch keine sexuelle Revolution? Mitgutsch : Auf der einen Seite war das wirklich die totale gesellschaftliche Revolution, politisch gesehen, nur innerhalb der Beziehungen blieb alles unglaublich patriarchalisch. Natürlich haben sich die Beziehungen zu Ehen oder ehelichen Gemeinschaften verfestigt, es wurden Kinder geboren, und irgendwann ist es den Frauen, die ja auch die ganze politische Revolte mitgemacht haben, zu blöd geworden. Daraus ist - das ist jetzt meine subjektive Sicht - der Feminismus entstanden. Ich habe es so erlebt, dass sich die Frauen in den 70er-Jahren dann plötzlich aus diesen - beschissenen - Beziehungen befreit haben, ihre Kinder allein groß zogen und begannen, alle diese Strukturen zu hinterfragen, sie einfach nicht mehr zu akzeptieren. Vieles hat man anfangs sehr naiv gesehen, wie auch '68 - ich nehme '68 jetzt als Metapher - in manchen Formen überhaupt sehr naiv war, das sieht man jetzt im Nachhinein. Aber um etwas zu erreichen, zielt man erst mal weit übers Ziel hinaus. Und meint auch, schon in symbolischen Handlungen weiß was erreicht zu haben, etwa, wenn man einen Büstenhalter verbrennt. Da ist auch sehr viel auf der Spielwiese passiert, manches, was dann letztlich nur Geste war. Aber es war eine schöne Zeit, ich erinnere mich gern daran. STANDARD: Mit dem verbrannten Büstenhalter in die weibliche Freiheit? Mitgutsch : Na ja, das war eben die symbolisierte Befreiung. Es hat einige Zeit gebraucht . . . Sich diesen Boden zu erkämpfen, den die jungen Frauen von heute für selbstverständlich halten, das musste mit Brachialgewalt durchgesetzt werden, spielerisch ging da nichts. Wir waren schon auch relativ humorlos. STANDARD: Was waren die ersten Schritte? Mitgutsch : Die Trennung von den Männern, die Alleinerziehung der Kinder. Und sehr viele Frauen, die in ihren Beziehungen verblieben sind, haben dann doch diese Doppelbelastung auf sich genommen. Denn die Männer konnte man ja nicht einmal dazu bringen, ein Paar Würstel heiß zu machen. Also hat man sich irrsinnig gefreut, weil man im Berufsleben war und das Kind groß gezogen hat und den Haushalt gemacht und die Wäsche gewaschen. Da ist dann eine Generation verkrampfter Superfrauen herausgekommen. Und dann musste ja auch auf der rechtlichen Basis alles verändert werden, die Scheidungen etwa, und dass man nach einer Scheidung ein bisschen abgesichert ist. Da wurde viel geleistet, nur manches ist im Endeffekt ein bisschen in die falsche Richtung gegangen. STANDARD: Inwiefern? Mitgutsch : Na ja, das erste, "wenn man zu sich kommt", ist, dass man nach Schuldigen sucht. Schuldig für die ganze weibliche Kreativität, die nicht ausgelotet wurde. Das waren dann die Mütter, und das war geradezu ein Sport. Daraus ist auch Die Züchtigung entstanden, mein erstes Buch. Deshalb distanziere ich mich auch immer von diesem Buch, weil es tatsächlich aus der Ideologie heraus entstanden ist. Ich habe als Feministin immer Gruppen gefunden, und das war dann sehr berauschend, wenn man sich gegenseitig hinaufgeschaukelt hat, und jede hatte eine ärgere Mutter als die andere. Was wir natürlich nicht mitgekriegt haben, war, dass sie auch Frauen waren - und es auch nicht einfach hatten. Aber wie gesagt: Die Schuldzuschreibung an die Müttergeneration war geradezu ein Sport. STANDARD: Ihre Literatur wurde immer wieder in einen feministischen Zusammenhang gestellt, was Ihnen gar nicht so recht war? Mitgutsch : Nein, weil mich eben im deutschen Sprachraum die Ideologisierung so gestört hat. Ganz konkret: Wenn man die Mutter eines Sohnes war, war das schon einmal schlimm, dann bestand nämlich schon einmal der Verdacht, dass man wieder einen Patriarchen großzieht. Und natürlich verhätschelt man das Kind, aber ein Sohn darf nicht verhätschelt werden, weil der muss ja mal einer Frau dienen. STANDARD: Erwartet die Frauen also mit den Söhnen von '68 eine Generation von sanften Männern? Mitgutsch : Vielleicht. Unsere Generation hat die Kinder mehrheitlich allein aufgezogen. Und unsere Söhne haben lernen müssen, mit der Mutter partnerschaftlich umzugehen. Sie haben sich nie so etwas angeeignet, wie man es von gleichaltrigen Männern kennt. Kräftemessen oder so. Sie haben keine Rollenmuster dafür, wie man eine Frau heruntermacht und unterdrückt. Sie haben nicht gelernt, in einer Familie die Mann-Frau-Rollenspiele einzuüben. STANDARD: Sie haben lange Zeit in Amerika gelebt. Gibt es Unterschiede zwischen den Töchtern der amerikanischen Women's Lib und den Feministinnen europäischer Prägung? Mitgutsch : Der Feminismus in Amerika war immer sehr pragmatisch. Er war nicht so wie in Frankreich mit großem theoretischem Überbau und auch weniger ideologisch als im deutschen Sprachraum. Und das sieht man auch jetzt noch immer: In Amerika, kommt mir vor, wird die Solidarität unter Frauen wirklich gelebt. Und bei uns, habe ich das Gefühl, wurde die Theorie sehr viel weniger in Praxis übersetzt. Es ist sehr stark ideologisiert worden. Ich bin dann ausgestiegen, auch aus der 68er-Bewegung, als sie mir zu ideologisch wurde - ich kann nämlich nicht mit Ideologie. Ich habe hier nichts gefunden, mit Ausnahme einzelner Individuen, natürlich, was diesem amerikanischen Gefühl gleichkommt, dass Frauen, die bildungsmäßig und geschichtlich ungefähr den selben background haben, an einem Strick ziehen. Es ist drüben so, dass es tatsächlich weibliche Netzwerke gibt, women's network. Da existiert wirklich eine Solidarität. Während hier jede Frau irgendwie für sich allein herumwurschtelt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5./6./7. 1. 2001)