London - Marianne Steiner, eine Nichte von Franz Kafka, ist, wie die "Times" am Mittwoch berichtete, am 8. November, mit 86 Jahren in London gestorben. Einen Tag zuvor hatte sie in Prag noch ein langes Fernsehinterview aufgezeichnet. Marianne Steiner half wesentlich dabei, die Manuskripte des Schriftstellers zu erhalten und in der Bodleian Library in Oxford zusammenzubringen. Sie selbst vermachte der Bibliothek ihren Teil der Originaldokumente. Als eine der wenigen Verwandten Kafkas, die den Holocaust überlebten, gab sie Literaturwissenschaftlern wertvolle Hinweise auf Kafkas versunkene Welt der deutschen Juden in Prag. 1939 floh sie mit ihrem Mann George vor den Nazis nach London. Nach dem Krieg kehrten die beiden nach Prag zurück, doch die Kommunisten trieben sie bald erneut ins englische Exil Marianne Steiners Mutter war Kafkas zweite Schwester Valerie (Valli), bei deren Heirat mit Josef Pollak er die Hochzeitsrede hielt. Wenig später begann er in der Wohnung des frisch vermählten Paares damit, den "Prozess"- Roman zu schreiben, sein heute wohl berühmtestes Werk. Die "kleine Marianne" selbst wurde von Kafka öfter erwähnt. So beschreibt er in seinem Tagebuch ihren "aufrechten Gang" und das "kurze, schwarze Haar" der am 19. Dezember 1913 in Prag Geborenen. 1923, im Jahr vor seinem Tod, fragte er in einem Brief aus Berlin: "Was liest sie? Tanzt sie noch?" Sie selbst erinnerte sich später an so kleine Details wie an die spitzen Knie ihres Onkels. (APA/dpa)