Es gab Zeiten, da nackte weibliche Körper noch nicht allerorten die öffentlichen Plakatwände schmückten, sondern allenfalls in Museen als Kunstwerke betrachtet werden konnten, und auch dies nicht immer unumschritten. Noch 1891 wurde anlässlich eines Mordprozesses in Berlin die Darstellung der Nacktheit in der Kunst zum Feind der Sittlichkeit erklärt. Allerdings entbehrt auch die Vorstellung, dass etwa die alten Griechen der Nacktheit völlig ungezwungen gegenüberstanden und keinerlei Scham kannten, jeglicher Grundlage. Im klassischen Altertum herrschte keineswegs uneingeschränkte Freizügigkeit, gab es Räume und Zeiten, in denen ehrbare Frauen ausschließlich bekleidet und nur die Körper von Hetären oder Opfern in mythologischen Gewaltszenen entblößt abgebildet werden durften.

Evangelia Kelperis Streifzug durch die Kunstgeschichte untersucht den Wandel in der Darstellung des nackten Frauenkörpers von der Antike bis zur Renaissance und zeigt, auf welche Weise dieses Motiv die gesellschaftlichen Verhältnisse und kulturgeschichtlichen Entwicklungen widerspiegelt. U.a. ist „Die Scham im homerischen Epos“ hier ebenso Thema wie „Nacktheit als Kostüm der Kaiserin und der reichen Dame“ in der römischen Antike, „Der virile Frauenleib und die Allegorien der christlichen Tugend“ im Mittelalter werden im Hochmittelalter der „Feminisierung der Gesellschaft“ und der „Rückkehr der Sinnlichkeit“ gegenübergestellt; auf die „höfische Liebe und ihre moralische Wirkung“ folgt in der Renaissance die „Hirten-Idylle und der höfische Liebesgarten“. Das Buch schließt mit einem Blick auf das Bild der Venus in der Renaissance, wo sie eine ganze Reihe von widersprüchlichen Eigenschaften verkörpert, mit ihrem sinnlich-irdischen Körper als Göttin der Natur und Fruchtbarkeit den Inbegriff des weiblichen Geschlechts, der gewöhnlichen Frau, darstellt; keusch und von der irdischen Sphäre abgehoben jedoch die „Himmlische“, die Göttin der geistigen Werte, die Schutzpatronin der verfeinerten Liebe und der Selbstkontrolle.

Angesichts der Probleme heutiger Frauen, sich jenseits all der unterschiedlichen Bilder, welche die Gesellschaft (und die Kunst) von ihnen projiziert, authentisch zu erfahren, bekommt die Vielfältigkeit des Frauenbildes in der Geschichte, so wie es sich in der Kunst widerspiegelt, ein ganz besonderes Interesse. (Esther Hecht)