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Archivbild vom 21. August 1968: Einwohner Prags werfen Steine auf sowjetische Panzer.

Foto: APA/AFP
Wien - Der "Prager Frühling", die Niederschlagung der Reformbewegung in der kommunistischen Tschechoslowakei im August 1968, und die internationalen Konsequenzen wurden vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz und dem Staatsarchiv für Zeitgeschichte der Russischen Föderation im Rahmen eines großen Forschungsprojekts erhoben. Daran waren 70 Forscher aus Europa und den USA beteiligt. Das nun publizierte zweibändige Werk "Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968" wird in Graz präsentiert.

Darin enthalten sind laut Böhlau Verlag "bislang unter Verschluss gehaltene Dokumente aus dem Archiv des ehemaligen ZK der KPdSU" - der Schaltstelle für alle Entscheidungen. Die Dokumente würden im Originaltext und in Übersetzung vorgelegt.

Hintergrund: Invasion

Am 20. August 1968 kurz vor 22.00 Uhr landete die erste sowjetische Militärmaschine in Prag, wie Stefan Karner, Leiter des Grazer Forschungsinstituts, in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag-Ausgabe) erläuterte. Die Invasion der Warschauer Pakt-Truppen hatte begonnen. Etwa 500 Menschen starben durch den Einmarsch und im zivilen Widerstand.

Die Panzer, die auf Prag und Preßburg vorrückten, stammten aus der Sowjetunion, Bulgarien, Polen und Ungarn. Auch die DDR wollte sich beteiligen. Doch dreißig Jahre nach Hitlers Einmarsch wollten die Moskau ergebenen Kräfte keine deutschen Truppen in Prag sehen.

Diskutierte Lösungswege

Angetrieben zu den drastischen und gewaltsamen Maßnahmen hatten SED-Chef Walter Ulbricht, Polens KP-Chef Wladyslaw Gomulka und der bulgarische Parteichef Todor Schiwkow. Ungarns Janos Kadar sowie der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew waren eher an einer politischen Lösung interessiert, um die Entwicklungen ("die Konterrevolution") in der Tschechoslowakei rückgängig zu machen. Belgrad und Bukarest unterstützten den tschechoslowakischen KP-Chef Alexander Dubcek und seinen "Sozialismus mit menschlichem Gesicht". Damit verbunden waren Presse- und Reisefreiheit, Grenzöffnungen zu Österreich und zu Westdeutschland, Privatisierungen und neue Führer.

Höhepunkt

Der "Prager Frühling" erlebte seinen Höhepunkt am 27. Juni 1968, als der Schriftsteller Ludvik Vaculik und weitere 67 Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler das sogenannte "Manifest der 2000 Worte" veröffentlichten: eine Abrechnung mit zwanzig Jahren KP-Herrschaft in der CSSR und eine Aufforderung, die Entwicklung nicht zu stoppen. Das Manifest verstärkte auch im ZK der KPdSU die Stimmung für eine militärische Lösung. Die politische Entscheidung fiel am 15. Juli beim Treffen der fünf "Bruderstaaten" in Warschau. Die fünf Parteien sandten einen Brief an die KPC, in dem sie ultimativ eine Kurskorrektur forderten. Schiwkow verlangte die Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Paktes - dem widersprach kein anderer Parteiführer mehr.

"Operation Donau"

Als Zeichen der Solidarität mit den Prager Reformern stattete vom 9. bis 11. August Tito der CSSR einen Besuch ab, am 16. August kam Rumäniens Nicolae Ceausescu. In der Presse gab es Gerüchte über eine mögliche engere Zusammenarbeit der drei "Donaustaaten" Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien. Am 17. August beschloss das Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU einstimmig die militärische Intervention. In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 begann die "Operation Donau". Die Prager Führung um Dubcek wurde verhaftet und nach Moskau gebracht. Staatspräsident Antonin Svoboda ersuchte um einen Besuch im Kreml. Svoboda, der als Held der Reformbewegung galt, fiel dort Dubcek in den Rücken: "Wenn er zurücktritt, wäre es für uns alle besser."

Einsatz Kirchschlägers

Laut dem Nachrichtenmagazin "profil", das über das Forschungsprojekt berichtete, war die Staats- und Regierungsspitze Österreichs zum Zeitpunkt des Einmarsches auf Urlaub, Bundespräsident Franz Jonas sowie Verteidigungsminister Georg Prader und auch Kanzler Josef Klaus telefonisch nicht erreichbar. Bei seiner ersten Rundfunkrede, um sieben Uhr Früh des 21. August 1968, betonte der Kanzler die Verpflichtung zur Neutralität. Wenige Stunden nach dem Einmarsch kam auch die umstrittene Weisung des Außenministeriums unter Kurt Waldheim an die Botschaft in Prag, tschechoslowakische Staatsbürger, die im Gebäude Schutz suchten, sollten "durch gütliches Zureden zum Verlassen desselben bewogen werden". Der damalige Botschafter Rudolf Kirchschläger ignorierte diese Anordnung ebenso wie den Wunsch, keine Visa mehr auszustellen.

Sowjetische Aufklärungsflüge

Nachdem es am 21. April zu sowjetischen Aufklärungsflügen über österreichischem Staatsgebiet kam, bat Außenminister Waldheim den sowjetischen Botschafter in Wien, Boris Podcerob, zu sich. Waldheim protestierte allerdings nicht gegen die Überflüge und auch nicht gegen die Landung eines Sowjethubschraubers im Weinviertel. Laut Aufzeichnungen Podcerobs beschwerte sich der Botschafter später gegenüber Waldheim über die "einseitige" Berichterstattung von ORF und der österreichischen Presse.

Der Außenminister soll ihm daraufhin versichert haben, er habe ohnehin "schon mehrmals mit Zeitungsredakteuren gesprochen und ihnen Anweisung gegeben, die Ereignisse unter Berücksichtigung der österreichischen Neutralität zu beleuchten". Auch SPÖ-Vorsitzender Bruno Kreisky habe die ORF-Berichte als neutralitätswidrig bezeichnet, so "profil". "Die Neutralität verpflichtet den Staat, aber nicht den Staatsbürger", erwiderte der damalige ORF-General Gerd Bacher. (APA/red)