Ruhen lassen, nichts aufwühlen. Lange Zeit galt die Verdrängungsstrategie der Kriegsgeneration auch für das Thema Zwangsarbeit. Dass während des Nationalsozialismus in Vorarlberg 10.000 Zwangsarbeiter Sklavenarbeit leisten mussten, die meisten davon auf Baustellen der Illwerke und in der Textilindustrie, interessierte die Allgemeinheit nicht.

Bis die Historikerin Margarethe Ruff 1996 mit ihrem Buch "Um ihre Jugend betrogen" die Ausbeutung der "Ostarbeiter" zum Thema machte. Zeitzeugen brachen ihr Schweigen. "Sie mussten ihre Erinnerungen noch nachweisen und rechtfertigen", blickt Werner Bundschuh, Obmann der Historikervereinigung "Johann August Malin-Gesellschaft", zurück.

"Brücken schlagen"

Nur noch wenige der früheren Zwangsarbeiter sind am Leben. Ihnen widmen sich Bundschuh und Ruff mit dem Forschungsprojekt "Brücken schlagen". Im Rahmen des Zukunftsfonds hinterfragen sie, was das Öffentlichmachen des Themas für die Betroffenen in der Ukraine und in Vorarlberg bewirkt hat. Bundschuh: "Immer wieder kam in den Interviews der Wunsch auf, die Stätten der Jugendzeit noch einmal zu sehen." Nach langem Hin und Her lud der Dornbirner Bürgermeister Wolfgang Rümmele (ÖVP) nun eine Delegation ein. Von den 28 Überlebenden der Region Rovenki waren noch zwei fit genug für die weite Reise.

Nina Makeieva (80) und Mykola Skrypnik (82) machten sich vergangene Woche auf Spurensuche. Beide wurden von den Nationalsozialisten aus Rovenki verschleppt, mussten drei Jahre in der Textilindustrie und beim Kraftwerksbau arbeiten. 14 und 16 Jahre alt waren sie, als der Zug in Bludenz hielt. "Ein schönes Land, mit schöner Natur" würde sie erwarten, hatte man ihnen erzählt. Von Arbeit, gar Zwangsarbeit, war nicht die Rede.

Neun, zehn Stunden täglich musste das Schulmädchen aus der Ukraine Garn spulen. Zu essen gab es wenig, geschlafen wurde in Baracken. "Aber wir waren jung, wir waren stark." Die alte Frau erzählt im Gegensatz zu Skrypnik fast emotionslos. Sie hat ihre Enkelin mitgebracht. "Damit sie sieht, wie wichtig Frieden ist."

"Wir mussten graben, graben, ob wir wollten oder nicht"

Mykola Skrypnik wird beim Besuch am Vermuntstausee immer wieder von Erinnerungen überwältigt. "Wir mussten graben, graben, ob wir wollten oder nicht. Zehn Meter jeden Tag nur mit dem Spaten." Drei Jahre lang. An die Menschen im Dorf erinnert er sich mit großer Dankbarkeit: "Die Bauern in Partenen waren gut. Sie haben uns Brot geschenkt, damit haben sie uns das Leben gerettet."

Von ihrem zweiten Aufenthalt in Vorarlberg sollen die Gäste aus der Ukraine gute Erinnerungen mitnehmen, wünscht sich der Bürgermeister und gibt der Delegation einen Scheck über 10.000 Euro für ein Altenheim mit. Nicht mehr die dunkle Vergangenheit soll Anlass für künftige Begegnungen sein, sagte Olena Ushakova, Stadtamtsdirektorin von Rovenki, "sondern kulturelle und Friedenszusammenarbeit" . Dornbirn sei dazu bereit, versprach Rümmele. (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 1.7.2008)