Eine arabische Inschrift über dem Tor von Schloss Hainfeld segnet alle, die ein und aus gehen. Einst auch SS-Offiziere.

Foto: Thaler

Leider vergibt es aber eine Chance zur Geschichtsaufarbeitung.

Graz/Feldbach – "Bei mir daheim gibt’s einen Nitsch. Meine Frau ist schon fast verzweifelt gewesen. Aber ich hab mir gedacht, irgendwas Schräges ist immer gut" , erzählt ein euphorischer Bürgermeister namens Leo Josefus. Und er setzt nach, dass es schon erstaunlich sei, dass einer wie der Maler Hermann Nitsch "bei uns nicht so, aber in Deutschland schon sehr anerkannt" sei.

Wir befinden uns im Jahr 2008 im südoststeirischen Leitersdorf bei Feldbach, einer Welt, in der Herrmann Nitsch noch als verkannter Künstler gilt. Doch das Projekt "hosted" des lokalen Künstlers Mario Höber, das die Haushalte der 700-Seelen-Gemeinde bespielt und dadurch das ganze Dorf zur Galerie macht, löst zumindest einen Teil des Versprechens ein, das der steirische Kulturlandesrat gab, als er genau vor zwei Jahren verkündete, sich vom völlig überholten, aber Millionen verschlingenden Konzept der Landesausstellungen zu trennen und statt dessen ein Festival der Gegenwartskünste mit starker regionaler Verankerung biennal zu schaffen.

Denn irgendwie spielt hier auch die Bevölkerung selbst eine Rolle – wenn auch vor allem die des Gastgebers. Die Leitersdorfer nahmen sich für die Öffnungszeiten, während denen man in ihren Küchen, Wohnzimmern und Vorzimmern Kunst besichtigen kann, sogar extra Urlaub.

Eine Pressefahrt suchte am Dienstag Leitersdorf und andere Orte des Geschehens in der Gegend zwischen Ilz und Laafeld, Kirchbach und Fehring auf, wo man sich von 4. Juli bis 13. September auf Festivalboden befinden wird. Zuvor wurde bei einer Tabakhütte aus dem 19. Jahrhundert in Ilz Stadion gemacht, deren Holzklappen-Fenster von Winfried Ritsch mit elektronischer Musik zum Klingen gebracht werden, während innen Richard Frankenberger, der aus der Gegend stammt, Oral History auf Videos zeigt.

Auch der Leitersdorfer Vizebürgermeister Andreas Rinder freut sich über seinen Künstler, er hat "einen Dieter Spath zu Hause ausgestellt" . Nein, wird er vom Projektteam, dem Designer Alexander Kada und Werber Gerolf Wicher, ausgebessert, Spath sei es nicht. Richtig, der ist eigentlich der künstlerische Leiter der regionale 08, wusste aber nichts von der Pressefahrt. Und so blieb er, obwohl mehr als die Hälfte der Programmpunkte von ihm entwickelt wurden, irgendwie auf der Strecke des Festivals. Dieses kam erst vor einem Jahr in die Gänge und soll nun auf Hochtouren alles das leisten, was man einst versprach. Nach einem Telefonat weiß Rinder: "Dieter Roth, so heißt mein Künstler."

Arbeiten auf Hochtouren

Den Zeitdruck, der entstand, weil man das Nationalratswahlergebnis 2006 abwartete, bevor man im Vorjahr Dieter Spath, einen aus Graz stammenden Architekten und Experten für "Rurbanismus" präsentierte, verschärften auch Konflikte sowie ein eigenwillig aufgeteiltes Budget: mehr als die Hälfte der vier Millionen fließen in den Overhead, der Rest in die Produktionen, davon aber nicht alles in die Kunst direkt. So musste etwa Fritz Ostermayer für seine "Gesänge auf den Wein" auf Schloss Kalsdorf bei Ilz einen Vertrag unterschreiben, in dem er sich auch für Bierbänke und Security verantwortlich erklärte.

Und es geht atemberaubend weiter: Das Programmbuch wird erst zur Eröffnung präsentiert, die wegweisenden Folien in der Region werden erst in einer Woche auf die Straßen geklebt. Besucher dürfen sich dafür über freien Eintritt bei den Veranstaltungen freuen.

SS-Feste im Wasserschloss

Probleme könnten aber Besucher haben, die am 5. Juli ins Wasserschloss Hainfeld zur feierlichen Eröffnung der wichtigsten Ausstellung des Festivals kommen, wenn sie wüssten, wer hier noch alles gefeiert hat. Im einstigen Sitz des legendären Übersetzers und Diplomaten, Joseph von Hammer-Purgstall, (er übersetzte etwa den "Diwan" von Hafis aus dem Persischen und "Geschichten aus 1001 Nacht" aus dem Arabischen), gab es während der Nazi-Zeit ganz andere Feste. Die SS soll bei der Hausherrin Cleo von Hammer-Purgstall stets willkommen gewesen sein, ihr Sohn Rüdiger, der einige Tage vor Kriegsende von den Sowjets ermordet wurde, war SS-Offizier.

Das Renaissanceschloss wurde nachdem Krieg als Kriegsgefangenenlager benutzt – nachdem Cleo von Hammer-Purgstall zwischenzeitlich geflohen war. Das alles spricht nicht dagegen, Schloss Hainfeld in ein Festival einzubinden, das etwa mit dem Verein Isop auch eine Programmschiene bietet, die den heute in der Gegend lebenden Migranten gewidmet ist.

Doch die Schnelligkeit, mit der alles programmiert werden musste, ließ für diesen Teil der Geschichte keinen Platz. Sie einfach zu "vergessen" kann aber sicher nicht Auftrag der Gegenwartkunst sein. Die Fotografin Christine de Grancy, die Cleo Hammer-Purgstall und das Schloss in den 50er-Jahren als Kind immer wieder besucht hatte, zeigt hier eine Fotoausstellung mit Porträts der mit 96 Jahren verstorbenen Schlossbesitzerin und ihrer Nichte Gisèle d’Ailly, einer geborenen Hammer-Purgstall, die während des Krieges anderweitig beschäftigt war: Sie versteckte Juden vor den Nazis in Amsterdam. Über diese Geschichten der Frauen, die mit einander befreundet waren, erfuhr man beim Pressegespräch am Schloss gar nichts.

De Grancy erklärte vielmehr, sie wolle sich mit der Schau "noch einmal vor den beiden alten Damen verbeugen" . (Colette M. Schmidt / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.6.2008)