Erleuchtung auf einer polnischen Landstraße.

Foto: Bettina Stöß

Wien - Am Weg in den Turbokapitalismus bleiben ein Mann und eine Frau auf einer Drogenparty hängen und versuchen nun per Autostopp durch die polnische Pampa, den Anschluss nicht zu verpassen. Er, ein Fernsehschauspieler mit Namen Parcha, muss dringend zum nächsten Dreh. Und sie, Dschina, schwanger und mit vielversprechender Zungentechnik, hat ihr Kind irgendwo, vielleicht im Kindergarten, vergessen. This is the end, kann man da nur sagen, und kriegt es in der deutschsprachigen Erstaufführung von Armin Petras, eine Koproduktion u. a. von Wiener Schauspielhaus und Festwochen, auch zu hören.

Doch es ist erst der Anfang einer Fahrt in einen neuen Tag voller postkommunistischer Realitäten, die Dorota Maslowska in ihrem Theaterdebüt aufnimmt: Mit Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen spürt die erst 24-jährige Autorin einer Gesellschaft nach, die die Bodenhaftung verloren hat, Menschen, die zwischen Vergangenheitstrauma und Zukunftsangst am Überleben basteln und es einfach nicht schaffen. Maslowskas Figuren humpeln dem "virtuellen Paradies" (T-Shirt-Aufschrift) hinterher, gehen dabei aber an den Widersprüchen zugrunde, denen sie ausgeliefert sind.

Davon versteht Armin Petras eine Menge. Der in Ost-Berlin aufgewachsene Regisseur und erfolgreiche Leiter des Gorki-Theaters Berlin hat sich mit seinen "Ostalgie"-Inszenierungen und -Stücken (unter dem Namen Fritz Kater) selbst an die ausradierte Geschichte und ihre mitgeopferten Geschöpfe und Landschaften gehängt. Die herrlich schnoddrige Tragödie Maslowskas hat er sich quasi ehrenamtlich zu Herzen genommen.

In seiner (allerersten!) Wiener Inszenierung, die anschließend nach Hannover und Berlin weiterzieht, platziert er die vom Schleudersitz der Geschichte abgeworfenen "Rumänen" (die freilich Polen sind und sich in Polen nur "rumänisch" fühlen) in einer dementsprechenden Mondlandschaft (Bühne: Annette Riedel): eine Straße, die das Bankett unüberwindbar begrenzt, und zu deren Kulisse ein kleiner Plastikchristbaum gehört. Auf der Leinwand schneit es, ein echter, allmählich schmelzender Eisblock ist das unbequeme Hauptmöbelstück dieser Fahrt, die sich wie ein altmodischer Sciencefiction-Albtraum anfühlt, und - zugegeben - knapp am Sozialkitsch vorbeischrammt. Doch der Text nimmt dadurch keinesfalls Schaden, im Gegenteil: Petras schleift diesen Erstling in Millimeterarbeit zurecht, trägt Pathos ab, strafft und dichtet pointiert neu.

Weiter on the road: Das hyperklischeehaft in wilde Fetzen gepackte Pärchen mit aufgemalten Zahnlücken (Hilke Altefrohne, Andreas Pietschmann) nötigt einen Autofahrer (Andreas Leupold), es mitzunehmen. Auf einem kaputten Tonziegel nehmen sie Platz und fahren los; versuchen später in einer Bar trotz Aufwendens großer Poesie (Paul Zechs Liebesgedicht vom Erdbeermund, eine Beigabe Petras') erfolglos zu telefonieren, steigen das nächste Mal bei einer im Reichtum verunglückten Escada-Tante (Cristin König) zu.

Und sie werden schließlich auch den Dampfer in ein anderes Leben nicht erreichen, weil es ihn nicht gibt. Er zieht triumphal am Gaze-Vorhang vorüber. Und mit ihm ein Abend, der auf unverbraucht unsachgemäße Art - mitunter befreiend - von Trostlosigkeit sprach. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2008)