"Vielfalt ist kein Affentheater" versicherten die Veranstalter im Vorfeld der Bonner Konferenz in einer Plakatkampagne. Der Blick des Werbeträgers scheint eher die gegenteilige Erkenntnis nahezulegen.

Bild: bmu.de
Anmerkungen zur Effizienz der Bonner UN-Konferenz zum Schutz biologischer Vielfalt, bei der nach offizieller politischer Lesart "viel erreicht wurde." - Ulrich Brand sieht das anders.

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Umweltpolitik wird immer mehr zu Ressourcen-, Technologie- und damit Wettbewerbspolitik. Insbesondere die aktuelle Nahrungsmittel- und Energiekrise bringt den Verfechtern großtechnologischer und oft wenig nachhaltiger Vorschläge Rückenwind. Gentechnisch verändertes Saatgut soll die Menschheit sattmachen, die Ozeane sollen großflächig gedüngt werden, um die Fischbestände aufzufüllen, die Atomindustrie bietet sich als Produzent C02-neutraler Energie an - und nun der neueste Renner: Agrotreibstoffe. Die Folge - etwa im Amazonas-Gebiet oder auf Borneo: Monokulturen, soweit das Auge reicht. Das reduziert die globalen CO2-Emissionen zwar nur sehr begrenzt bzw. - bei der Abholzung von Primärwald - gar nicht, ist aber gut fürs Geschäft.

Dies ist der Kontext einer am Freitag zu Ende gegangenen UN-Konferenz zum Schutz der biologischen Vielfalt in Bonn - gewissermaßen ein Pendant zur Klimakonferenz von Bali -, an der etwa 5.000 Delegierte und Beobachter/innen teilnahmen. Ziel der Veranstaltung: Eine Einigung über Realisierungsmaßnahmen zur Konvention über die biologische Vielfalt zu erzielen, die mit 191 Unterzeichner-Staaten zu den umfassendsten völkerrechtlich verbindlichen Verträgen überhaupt zählt.

Zentrales Anliegen dieses Vertragswerks ist zum einen, die dramatische Erosion der biologischen Vielfalt aufzuhalten, indem man etwa bestimmte Gebiete als Schutzzonen ausweist (z. B. Küsten und Ozeane) und entsprechend bewirtschaftet; zum anderen geht es darum, das "grüne Gold der Gene" für den medizinischen und Pharmabereich stärker zu nutzen und dafür entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Was vor allem deshalb ein konfliktträchtiges Thema ist, weil Unternehmen nördlicher Industriestaaten wie etwa Novartis oder BASF sich die vererbbaren Eigenschaften von Pflanzen und Tieren sowie teilweise das lokale Wissen im Umgang damit aneignen wollen, um so bei der Herstellung von marktfähigen Medikamenten, von Saatgut oder Kosmetika Wettbewerbsvorteile zu lukrieren.

Südliche Regierungen sagen seit nunmehr fast 20 Jahren: Wenn sie den Zugang zu "ihren" Ressourcen gewähren sollen, dann möchten sie an den Gewinnen aus der Nutzung des "grünen Goldes" - in Form eines "fairen und gerechten Vorteilsausgleichs" - teilhaben. So ist es auch in der 1992 bei der Weltkonferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro unterzeichneten Konvention festgeschrieben, 2001 wurden auch erstmals entsprechende Richtlinien vereinbart, dies allerdings nur auf freiwilliger Basis, was vielen Südregierungen naturgemäß zu unverbindlich war.

Wachsweiche Formulierungen

Um der "Biopiraterie" endlich Einhalt zu gebieten, sollte daher nun in den vergangenen zwei Konferenzwochen ein klares Verhandlungsmandat verabschiedet werden. Tatsächlich beschränkt sich die neue Übereinkunft aber einmal mehr auf ein Konvolut wachsweicher Formulierungen, weil einigen nördliche Regierungen offenbar nichts wichtiger war, als ihren Agrar- und Pharmafirmen den Rücken freizuhalten.

Die Biodiversitäts-Konvention harrt somit nach wie vor der effektiven Umsetzung - übrigens auch in den EU-Ländern. Zur Illustration: Der indische Wissenschaftler Ashish Kothari berichtete auf der Konferenz, dass es in Indien in Sachen Vielfaltschutz zwar eine nationale Legislation und entsprechende Institutionen gibt. Von den über 300 Verträgen, mittels derer internationale Firmen und Forschungsinstitute genetische Ressourcen sammeln können, um bestimmte Wirkungen zu nutzen, wurde jedoch nur ein einziger abgelehnt. Ein Greenpeace-Vertreter hat die Konvention in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht als "Talkshop" qualifiziert.

In der aktuellen Kräftekonstellation drohen zudem die Interessen der lokalen Bevölkerung völlig unter die Räder zu kommen. Die hat nämlich oft nichts davon, wenn "ihre" Regierungen die biologische Vielfalt vermarkten. Das Problem ist bekannt, doch es darf kaum offen ausgesprochen werden. Sofort ziehen Regierungen wie die brasilianische die Karte der "nationalen Souveränität". Entsprechend hat der Einfluss von Vertretern der jeweiligen lokalen Bevölkerung eher ab- als zugenommen.

Die sog. "Life-Web-Initiative" der deutschen Bundesregierung macht die Ambivalenz unverbindlicher Regeln und des Ressourcenhungers der Industriestaaten deutlich: Länder, die Schutzgebiete erhalten wollen, zeigen das wie an einer Art Börse an und nördliche Regierungen können dann freiwillig als mögliche Geldgeber auftreten.

Es geht nur um's Geschäft

Eine andere Dynamik ist aber noch besorgniserregender - der kontinuierlich wachsende Anbau von Agrar-Treibstoffen. Insbesondere die brasilianische Regierung machte sich zur Wortführerin einer hemmungslosen Ausweitung der Anbauflächen für Zuckerrohr und künftig auch für Ölpalmen. Es gab erschütternde Berichte, dass in Indonesien Millionen Hektar Primärurwald brandgerodet wird, um Ölpalmen für Agrarkraftstoffe anzubauen. Die CO2-Bilanz ist hier eindeutig negativ. Denn der Regenwald ist nicht nur wichtig als CO2-Senke, sondern hat über Jahrtausende eine oft über zehn Meter tiefe Torfschicht geschaffen. Diese Schicht verbrennt und setzt immense CO2-Mengen frei. Die lokalen Bauern, die das Land an große Konsortien verkaufen, werden direkt in die Armut getrieben, allenfalls ein kleiner Teil kann sich auf den Plantagen verdingen. Hier wird besonders deutlich: Es geht nicht um die CO2-Bilanz, sondern ums Geschäft.

Fazit: Die Konvention läuft - wie auch die Klimakonvention - Gefahr, tendenziell zur Kommerzialisierung der Natur beizutragen, statt sie abzubremsen oder gar aufzuhalten. Dringend benötigte politische Strategien zum Vielfaltsschutz werden ständig von ökonomischen Verwertungsinteressen überformt. - Beispiele für sinnvolle Gegenmaßnahmen wären u. a.:

1. Mehr Unterstützung der Interessen der lokalen Bevölkerung in den südlichen Ländern - insbesondere im Kampf gegen die Gefahren der Agro-Treibstoff-Produktion.

2. Einführung von Nutzungsstandards in Österreich und der EU (sog. user measures), die der Biopiraterie auch in unseren Apotheken und Geschäften effektiv gegensteuern. Die rechtlichen Möglichkeiten dazu bestehen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.6.2008)