Ein früher Frühlingsmorgen über Brügge. Noch hängt in den Spitzen der Pappeln im weiten Innenhof des Beginenhofes ein Rest von Frühdunst. Aus einem der kleinen, weiß gekalkten Häuschen, die den Hof umrahmen, kommt eine dunkel gekleidete Frauengestalt und trippelt zwischen goldenen Narzissen, die in dichten Büscheln wachsen. Schwester Marijke greift das baumelnde Glockenseil und bringt die helle Glocke der Elisabeth-Kirche zum Schwingen, so dass sich der helle Glockenklang mit dem Gurren der Wildtauben am Minnewater vermischt.
Der Beginenhof von Brügge gilt als der stimmungsvollste von insgesamt dreizehn, die es heute noch in Flandern gibt. Jeder ist anders gestaltet, aber alle haben sie - ganz gleich wie sie heute genutzt werden - ein kostbares Stück mittelalterlicher Realität in unsere Tage gerettet. Entstanden sind die Höfe ab dem 13. Jahrhundert als Lebenswelt alleinstehender Frauen, denen es nach den gesellschaftlichen Konventionen der damaligen Zeit untersagt war, alleine zu leben. Eine Frau hatte verheiratet zu sein oder ins Kloster zu gehen, das war grob gesagt die damalige Devise.
Dritter Weg ohne Gelübde
Mit den Beginen kam eine dritte Variante hinzu: Sie waren Frauen, die sich zu gemeinsamem Leben unter der Leitung einer "Grootjuffer" zusammenschlossen, ohne durch Gelübde gebunden zu sein. Im Gegensatz zu Nonnen führten sie ein eigenständiges Leben in einer demokratisch geführten Gemeinschaft. Sie gelobten Keuschheit, aber keine Armut und konnten jederzeit wieder austreten. Mädchen, die zu arm waren um zu heiraten, konnten ebenso beitreten wie Adlige oder Witwen. Alle hatten gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Besonders bedeutsam war die absolute Souveränität eines jeden Beginenhofes. Die in den Beginenhöfen gefassten Beschlüsse mussten von den Magistraten der Städte respektiert werden.
Es blieb natürlich nicht aus, dass die Amtskirche in einer Zeit des mönchischen Konformismus das Beginenwesen mit Argwohn betrachtete und Frauen, die hier in einer religiös geprägten Gemeinschaft lebten, als Häretikerinnen, ansahen. Tatsächlich führte der immer wiederholte Vorwurf der Ketzerei dazu, dass die Beginenbewegung 1311 auf Druck deutscher Bischöfe verboten wurde. Nur wenige Beginenhöfe werden heute noch so wie jener von Brügge von Ordensfrauen bewohnt, wo Benediktinerinnen als Nachfolgerinnen leben. Der Beginenhof von Brügge ist jedenfalls eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Marcel Proust empfahl ihn als Reiseziel, Charles Baudelaire und Rainer Maria Rilke haben ihn besucht und von ihm geschwärmt.
Ob der Beginenhof von Löwen oder der von Lier der größte ist, mag dahingestellt bleiben, sie sind beide von gigantischem Ausmaß. Beide präsentieren sich als mittelalterliche, von Mauern und Stadttoren umgebene Städtchen in der Stadt. Die gesamte Anlage von Löwen gehört nun der Katholischen Universität der Stadt, die ihn für mehr als 13 Millionen Euro restaurieren ließ. Heute leben in den einstigen Beginenwohnungen Studenten und Professoren, doch durch die engen Gassen zwischen Ziegelhäusern kann jeder ungehindert schlendern.
Soziales Paradieske
Die ursprüngliche Atmosphäre der längst nicht mehr religiösen Anlage weht dem Besucher noch im Beginenhof von Lier entgegen, dessen Häuschen heute meist als Sozialwohnungen vermietet werden. Denn nach wie vor tragen sie Namen wie "Paradieske", "Zum lieben Jesus" oder "Stall von Bethlehem". Und versteckt in einer Seitengasse steht die Statue der berühmtesten Begine aller Zeiten: Symphorosa, die der flämische Erzähler Felix Timmermans unsterblich gemacht hat.
Unverändert blieb der Zuschnitt der Wohnungen. Das ist schön zu sehen im Beginenmuseum innerhalb des Hofes von Brügge. Jede "Zuster", jede Schwester, hatte ihr eigenes, wenn auch winziges Häuschen für sich alleine, mit Küche und Schlafkammer, einer Stube und einem kleinen Obergeschoß. Hier konnte man Besuch empfangen, entweder von den Verwandten daheim oder aber viel öfter von der Nachbarin aus dem Häuschen nebenan, die auf das kleine Schwätzchen nie ohne selbstgebackenen Fladen kam.