Wien – Die einen halten sich schützend ihre Hände vor die Augen, die anderen kauen nervös an den Fingern herum. Mit Nachtsichtkamera in einem vollen Kinosaal zu sein kann einen guten Eindruck von der Wirkkraft eines Films vermitteln. Rhythmisch zucken die Körper zurück in ihren Sitz, so als wären sie ein einzelner Organismus. Nach dem ersten Schreck setzt sofort das befreiende Lachen ein, oder es folgt ein glücklicher Blick zum Sitznachbarn – wieder überlebt.
Das Szenario entstammt dem cleveren Trailer für den spanischen Horrorfilm "[Rec]" von Jaume Balagueró und Paco Plaza. Er funktioniert ein wenig wie ein Garantieschein. Die Schockwirkung des Films wird am zahlenden Besucher illustriert. Das weckt Neugierde und macht Lust auf mehr – und damit steckt man schon mittendrin in der Wunschmaschine, die das Kino für uns anwirft. Der Mehrwert des Schreckens war schon immer der Spaß, den man aus dem Überwältigtwerden bezieht.
Mit "[Rec]" und Michael Hanekes Remake seines Metathrillers aus dem Jahr 1997, nunmehr "Funny Games U.S." genannt, konkurrieren zwei Filme auf denkbar unterschiedliche Weise um die Reaktionen des Publikum. Der eine möchte es über die eigenen Sehgewohnheiten aufklären; der andere versucht, diese zu erschüttern, indem er das Maß des Gewöhnlichen übertrifft.
Haneke hat seinen Film – mit ähnlicher Exaktheit wie Gus van Sant "Psycho" – Einstellung für Einstellung noch einmal gedreht. Neu ist die Besetzung mit Naomi Watts und Tim Roth, neu ist die Kamera von Darius Khondji, das Produktionsland und der Schauplatz USA. Wieder wird ein gutbürgerliches Ehepaar in seinem Ferienhaus – aus dem Salzkammergut wurde Long Island – von zwei Eindringlingen (Michael Pitt und Brady Corbet) malträtiert, die ohne erkennbare Motivation vorgehen und wie generische Spielfiguren funktionieren. Der Vater wird handlungsunfähig gemacht, das Kind bald getötet, die Gegenwehr der kampfbereiten Mutter immer wieder verhindert.
Kontext entscheidet mit
Hanekes Absicht geht dahin, gängigen Handlungsmustern und Identifikationsprozessen des Thrillers so weit zu folgen, bis er sie an entscheidenden Punkten unterlaufen kann. Sein Gegner ist das US-Genrekino mit seinem ausformulierten Regelwerk. Indem er seinen Anti-Film nun in feindliches Terrain überträgt, stellt sich eine seltsame Verschiebung ein: Es wird viel deutlicher, wie nahe "Funny Games" an US-Vorbildern operiert. Schon der Film Noir kannte zum Beispiel das Sujet des krisenhaften Heims, das gegen schädliche Einflüsse von außen nie genug abgeschirmt war. Wobei der Patriarch nicht immer positiv wegkam.
Die Kontextverschiebung hebt aber auch die Brüche stärker hervor, die nun nicht mehr so homogen im moralischen Universum des europäischen Autorenfilms aufgehoben sind. Das Rückspulen der Szene, mit dem Haneke die Erfüllung des Racheschemas sabotiert, konkurriert hier immer schon mit der Staraura Naomi Watts', in der vergangene Rollen nachschimmern. Die Momente, in denen Folter selbstreflexiv als Entertainment entlarvt wird, wirken wie Fremdkörper, deren Ideologiekritik nach Abu Ghraib ein wenig altbacken aussieht.
Auch Balagueró und Plaza nehmen in "[Rec]" einen kulturellen Transfer vor, wenn sie den Zombiemythos auf lokale Verhältnisse übertragen. Doch sie gehen den umgekehrten Weg zum Spielverderber Haneke. Anstatt zu distanzieren, wird die Anteilnahme am Geschehen noch dadurch gesteigert, dass der Film konsequent mit subjektiver Kamera aufgenommen ist. Wir sehen, was ein Fernsehteam filmt, das mit einer Feuerwehreinheit in ein Mietshaus einsteigt, aus dem seltsame Schreie drangen. Das Haus wird verbarrikadiert. Die Mieter verwandeln sich zu geifernden Bestien. Die Situation eskaliert in verwackelten Bildern, die körperliche Erschütterungen ungefiltert auf den Zuschauer übertragen.