Das Wiener Becken war im Miozän Teil des Urmeers Parathetys. An dessen Rändern gediehen bis vor rund 14,5 Millionen Jahren unter anderem auch Mangroven.

Foto: DER STANDARD/Manuel Dohmen
Anhand von Pollenfunden konnten sie zeigen, dass es hier damals ähnlich subtropisch war wie heute in Ostchina.

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Es wäre kein schlechter Platz zum Leben gewesen, falls es den Menschen schon gegeben hätte. Die mittlere Jahrestemperatur betrug etwa 20 Grad Celsius. Im Winter dürfte das Thermometer nur selten einstellige Werte gezeigt haben. Reichlich Regen (circa 1300 Millimeter p. a.), gleichmäßig verteilt über alle Jahreszeiten, hätte der Landwirtschaft beste Bedingungen geboten, und das flache subtropische Meer vor der Haustür Gelegenheit zum Baden und Fischen.

Wo 18 Millionen Jahre später die Westautobahn in die Ebene des Wiener Beckens hinabführen sollte, wuchs während des frühen Miozäns ein dichter Küstenwald. Letzterer bestand überwiegend aus Mangrovenbäumen der Gattung Avicennia, deren Nachfahren heute weltweit an vielen Küsten warmer Meere emporragen.

Zypressen im Wienerwald

Im Hinterland gedieh ebenfalls üppiger Waldwuchs: hohe Zypressen und Sumach, Engelhardia und Verwandte der heutigen Zitrusfrüchte, um nur einige zu nennen. An den Hängen bereits existierender Berge - die Auffaltung der Alpen begann schließlich schon vor rund 35 Millionen Jahren - herrschte zwischen 700 und 1000 Meter Höhe Mischwald vor, darin unter anderem die Urahnen von Eiche und Ahorn. In höheren Lagen wuchsen Nadelbäume.

Die erstaunlichen Einblicke in die urzeitliche Flora Ostösterreichs sind das Ergebnis einer präzisen Analyse fossiler Pollen, die ein spanischer und zwei französische Wissenschafter aus Sedimentproben von sechs verschiedenen Fundorten aus der Region entnommen haben. Die Proben waren nicht gleich alt, sondern spiegelten einen Zeitraum von knapp acht Millionen Jahren ab dem mittleren frühen Miozän vor 18 Millionen Jahren wider. So konnten die Forscher die Entwicklung der Vegetation im Gebiet bis in das späte Miozän hinein verfolgen und daraus Schlüsse über den Wandel des damaligen Klimas ziehen.

Generell ähnelte die ostalpine Pflanzenwelt im besagten Zeitraum der heutigen Vegetation Südostchinas, schreiben die Forscher in einer Internet-Vorabveröffentlichung der Fachzeitschrift Journal of Biogeography. Viele Pflanzengruppen, die im Laufe der Zeit aus Europa verschwanden, sind dort noch anzutreffen. Das Klima ist ebenfalls ähnlich.

Im Verlauf des Miozäns setzte in Mitteleuropa eine schleichende Abkühlung ein. Die durchschnittliche Jahrestemperatur sank laut den Berechnungen der Experten langsam um circa 2,5° C, mit deutlich nachweisbaren Auswirkungen auf die Flora. Die Mangrovenbäume verschwanden vor 14,5 Millionen Jahren aus der Region, auch wenn sich das Meer noch lange nicht zurückgezogen hatte.

Das Urmeer bei Wien

"Bei Wien erstreckte sich zu der Zeit ein ausgedehntes Bassin, welches Teil der Parathetys war", erklärt der Erstautor der Studie, Gonzalo Jiménez-Moreno, im Gespräch mit dem Standard. Das Meeresgebiet bedeckte auch die pannonische Tiefebene in Ungarn und stand - mit einer Unterbrechung - mit dem Vorläufer des Mittelmeeres in Verbindung (vgl. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology, Bd. 253, S. 115).

Auch das gleichzeitig stattfindende Höhenwachstum der Ostalpen konnten Jiménez-Moreno und Kollegen in ihren Proben verfolgen. Während des mittleren Miozäns nahm der Anteil an Tannen- und Fichtenpollen (Gattungen Abies und Picea) stark zu, ein klarer Hinweis auf die Bildung eines Nadelwaldgürtels in Höhenlagen. Bei den damaligen Temperaturen muss dieser in über 1600 Meter Höhe gediehen sein. Einige Millionen Jahre früher waren die Berge offensichtlich noch nicht hoch genug für die Entstehung eines solchen Waldtyps. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Printausgabe, 28.5.2008)