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Kathedrale von Canterbury

Foto: APA/WOLFGANG HAUPTMANN
"We are fogging the channel and you are cut off", verrät die kecke Barmaid Jane die britische Vernebelungstaktik am Ärmelkanal. Nur teilweise beschaulich also nähert man sich England mit der Fähre, etwa von Calais nach Dover. Auf der 80-minütigen Überfahrt lernt man wenigstens gleich das "insulare Denken" der Briten kennen.

Natürlich erreicht man Südengland schneller mit dem Flugzeug oder durch den Eurotunnel, dann allerdings wird man keinen Tropfen Meerwasser und keinen einzigen Kreidefelsen zu Gesicht bekommen � der Landpartie fehlt etwas. Denn schon im Hinterland von Calais lenkt man seinen Wagen wie in eine Waschstraße und verlässt diese erst wieder in den Hügeln von Kent.

Von Dover führt eine Schnellstraße in die Universitätsstadt Canterbury, die Hauptstadt Kents. In dieser Wiege des englischen Christentums sollte man zumindest kurz Halt machen. Hier bekehrte der römische Missionar Augustinus im sechsten Jahrhundert König Ethelbert zum Christentum und gründete eine Abtei, an deren Stelle im elften Jahrhundert die Kathedrale entstand.

Streicheln erbeten

Der Bischof von Canterbury ist heutzutage nur mehr im Souvenir-Shop als Teddybär anzutreffen, denn auch Canterbury braucht Geld. Schließlich soll die Erhaltung der Kathedrale mit 250 Angestellten und weiteren 500 Freiwilligen 17000 Euro pro Tag kosten.

Dahinter liegt bereits die weitaus ländlichere Grafschaft Kent, die nicht umsonst den Ruf als Garten Englands genießt. Der Süden Englands besticht hier mit bukolischen Hügeln und kleinen Ortschaften � Kent und Sussex wollen auf beschaulichen Landstraßen erobert werden. Denn je kleiner die Dörfer sind, desto bezaubernder muten ihre Domizile und Gärten an.

45 Kilometer südwestlich von Canterbury erreicht man etwa das Dorf Biddenden, wo flämische Weber fotogene Häuser aus Backstein und Fachwerk hinterließen, die heute Pubs oder Tea Rooms beherbergen. Südengland ist hier eine Landschaft ohne Werbetafeln und ohne Lärmschutzwände geblieben. Diese Rolle haben die endlosen natürlichen Hecken übernommen, aus der Vogelperspektive gleicht das Land somit einer Patchworkdecke in verschiedenen Grüntönen. England hat längst die Bedeutung der alten Hecken für das ökologische Gleichgewicht und für das Landschaftsbild erkannt. Die Anlage einer englischen Hecke ist eine Wissenschaft, Laien � meistens vom Kontinent � will man die hohe Kunst des �Hedge Laying� in Kursen aber gerne vermitteln.

Nymans grüne Geschichten

Am Weg von Horsham nach Brighton, bei Handcross in West Sussex, liegt "Nymans Garden", der auch den Blick hinter diese Hecken ermöglicht: Wenn man durch die Rosen-, Stein- und Heidegärten wandelt, vorbei an uraltem Baumbestand, warten schon die auskunftsfreudigen Mitarbeiter des "National Trust", die Geschichten über Haus und Garten ausplaudern. Wer übrigens beabsichtigt, mehrere Parks und Herrenhäuser zu besichtigen, wird am besten gleich Mitglied beim "National Trust". Die Jahresgebühr ist nämlich günstiger als einzelne Tickets.

Von Nymans Garden ist es nur ein kurzer Weg nach Brighton an der Südküste. Am Palace Pier vergnügt sich das Publikum an geldsüchtigen Automaten und stärkt sich mit Fish & Chips. Dennoch sollte man sich hierher wagen, denn unmittelbar westlich der Stadt übersieht man schon mal so stimmungsvolle Orte wie Arundel mit seiner trutzigen Burg und den charmanten Antiquitätenläden.

Unübersehbar hinter den Hecken bleiben dennoch die Kathedralen Südenglands. Die längste Kirche Englands etwa mit 170 Metern findet man in Winchester, denn knapp 250 Jahre war das Englands Hauptstadt. Aber neben den Gebeinen von 20 Monarchen birgt die Kathedrale auch die schlichte Grabplatte der Schriftstellerin und Pfarrerstochter Jane Austen, die mit feiner Klinge � oder gar Heckenschere � das Gesellschaftsleben der Upper Class ihrer Zeit literarisch zurechtstutzte. Das unscheinbare Haus, wo Jane Austen wohnte, befindet sich in der College Street, nur ein paar Häuser von der ältesten Buchhandlung der Stadt, P & G Wells. Mit 123 Metern Höhe hält die Kathedrale im nahen Salisbury den Höhenrekord. Und auch hier gilt: Kaum blickt man fünf Sekunden die Türme empor, eilt ein freundlicher Diener des �National Trust� herbei und will die Geschichte der Kathedrale erzählen.

Was fehlt noch im englischen Gemälde? Ja, genau: Petworth. Die Stadt empfängt mit prachtvollem Herrenhaus und Bilderbuch-Park. Petworth House galt immerhin als zweite Heimat des Landschaftsmalers William Turner. Und was suchen die englischen Schulklassen heute hinter den Hecken im Park? Wahrscheinlich den schönsten Picknickplatz Südenglands. Den kann man hier finden. (Doris Maier/DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.5.2008)