Österreichs Journalismus müsse "die eigene unabsichtliche bis absichtliche Beteiligung an der Kultur eines Rassismus hinterfragen", meint Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell

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Österreichs Medien hätten bisher viel zu wenig für die Integration von MigrantInnen getan - und sogar an der Verbreitung gewisser Rassismen mitgewirkt, kritisiert Fritz Hausjell, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, im Interview mit derStandard.at: "Wir haben in diesem Land eine Tradition gehabt, die schon einmal zu ganz fürchterlichen Verbrechen geführt hat. Ich möchte nicht, dass sich in dieser Berufsgruppe noch einmal die Frage stellt, welchen Anteil man daran hatte, einzelne Gruppen zu Sündenböcken zu stigmatisieren", meint Hausjell. Die Fragen stellte Katrin Burgstaller.

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derStandard.at Wenn über Straftaten berichtet wird, nennen manche Medien das Herkunftsland des Täters, andere lassen es weg. Wie stehen Sie dazu?

Hausjell: Empfehlungen verschiedener europäischer Journalistenvereinigungen laufen darauf hinaus, dass die Nicht-Nennung von Namen und Tätern mit Migrationshintergrund bei Kriminalfällen zu empfehlen ist. Hinweise auf den Migrationshintergrund sind völlig entbehrlich - außer dies erklärt den Vorgang der Kriminalität. Sonst wird vermittelt, dass es einen Zusammenhang zwischen Herkunft und Kriminalität gibt. Alle kriminalsoziologischen Studien die ich kenne, negieren diesen Zusammenhang. Aber er wird hartnäckig von manchen Medien angeführt.

Die Wienausgabe der Kronen Zeitung vom 22. April titelt "Warum die Kriminalität explodiert!", und schreibt in der Überzeile "Junge Ausländer führen Statistik an." Die Geschichte macht auf der Seite 13 eine knappe halbe Seite aus. Jeder fünfte angezeigte Teenager war im vergangenen Jahr ein Ausländer, steht da. Wie können sie dann die Statistik anführen? Jeder Fünfte, das heißt 20 Prozent. Da herrscht die pure Unlogik in dieser Redaktion. Das banale Vorurteil scheint handlungsanleitend zu sein. Denn es wird gar nicht der Frage nachgegangen, ob nicht überhaupt jeder fünfte Teenager keinen österreichischen Pass hat - und damit der Anteil der jugendlichen Ausländer, die der Kriminalität verdächtigt werden, nicht höher ist als jener der Inländer.

derStandard: Wer soll diese Art von Berichterstattung sanktionieren?

Hausjell: Das wäre die Aufgabe des Presserats, den es in unserem Land nicht gibt. Die Debatte sollte innerhalb der KollegInnenschaft geführt werden, aber das ist in Österreich eigentlich nicht der Fall. Die Verschränkung im österreichischen Journalismus ist so hochgradig, dass es schwer ist, über solche Dinge Debatten zu führen. Nur so kann ich mir erklären, dass auf solche Schlagzeilen wie von der Kronenzeitung von der Branche keine Reaktionen kommen. Österreichischer Journalismus insgesamt muss die eigene unabsichtliche bis absichtliche Beteiligung an der Kultur eines Rassismus hinterfragen.

derStandard.at: Was meinen Sie mit der absichtlichen und unabsichtlichen Beteiligung am Rassismus?

Das unabsichtliche Beteiligung entsteht aus Regeln, die man sich im Journalismus angewöhnt hat. Etwa, das Besondere hervorzuheben. Das Besondere wird oft die Nationalität oder die Herkunft sein. Man muss sich aber dessen bewusst sein, dass so bei der Leserschaft vermittelt wird, die meisten Kriminellen seien Ausländer.

Wir haben in diesem Land eine Tradition gehabt, die schon einmal zu ganz fürchterlichen Verbrechen geführt hat. Ich möchte nicht, dass sich diese Berufsgruppe noch einmal die Frage stellt, welchen Anteil man daran hatte, einzelne Gruppen zu Sündenböcken zu stigmatisieren.

derStandard.at: Das heißt, Sie sehen auch viele brancheninterne Versäumnisse?

Es ist ein Versäumnis über zwei Jahrzehnte, sich in der Journalistenausbildung nicht mit der Herausforderung der modernen Integration beschäftigt zu haben. Auch von Herausgeberseite hätte es hier Initiativen geben können. Positiv sehe ich all die Medien, die sich eine medienkritische Berichterstattung leisten. Ich hoffe inständig, dass der ORF das auch aufgreift und ein medienkritisches Magazin anbietet.

derStandard.at Was kann die Politik tun?

Hausjell Die Politik muss sich eine Antwort auf Kampagnenjournalismus überlegen. Das betrifft auch die Frage der Vermittlung von Medienkompetenz, die endlich in den Schulen Pflichtfach werden soll. Es muss unter anderem gelernt werden, wie man mit solchen medialen Strategien umgeht und idealerweise dagegen immun wird. In einigen Ländern gibt es ein Antiarassismusgesetz - das würde auch im Bereich der Medienberichterstattung das nötige Nachdenken darüber, an welchen politischen Kampagnen man sich beteiligt, unterstützen.

derStandard.at: Was sagen Sie zum Bericht zum Thema Integration und Medien des Innenministeriums?

Hausjell: Ich begrüße, dass dieses Thema behandelt wird, aber die Berichtslegung halte ich an manchen Stellen für problematisch. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass die Autoren ausschließlich der Mehrheitsbevölkerung angehören. Vielleicht hätte sich das Innenministerium auf ein interkulturelles Arbeitsteam von Anfang an einstellen können.

derStandard.at: Was hätten Sie sich davon erwartet?

Hausjell: Es wurden Dinge vorschnell argumentativ begraben, wie zum Beispiel die Stellenbesetzung nach Quoten für MigrantInnen. Doch Quoten, etwa im Bereich der Geschlechterquoten, haben Veränderungen bewirkt, dafür gibt es auch Beispiele in den Medien.

derStandard.at: Im Bericht wird kritisiert, dass über die Repräsentation von MigrantInnen in den Medien wenig Studien existieren. Sehen Sie das auch so?

Hausjell: Da staune ich nur so. Es gibt zahlreiche Dissertationen und Diplomarbeiten zu diesem Thema.Man kann genau herauslesen, dass Aktivitäten von MigrantInnenvereinen in Österreich medial so gut wie nicht wahrgenommen werden. Das heißt, dass die positiven Leistungen vorenthalten werden - und zwar der Mehrheitsbevölkerung, aber auch den MigrantInnen selbst, die damit sehen, dass das offensichtlich nicht wertgeschätzt wird. Denn sonst kommt auch jede Ausstellung, jede Veranstaltung, jede sportliche Aktivität in der Lokalberichterstattung vor.

derStandard.at: Wie ist das zu erklären?

Hausjell: Die Journalisten glauben selbst, dass sie alles abdecken. Oder sie führen als Grund für die fehlende Berichterstattung die mangelnden Deutschkenntnisse der MigrantInnen an. Vielen können hinreichend bis exzellent Deutsch - das ist nur ein Bild von außen.

derStandard.at: Wie können Medien zur Integration beitragen?

Hausjell: Die MigrantInnen sollen in den Medien nicht anders, nicht schlechter und nicht besser als andere Gruppierungen behandelt werden. An deutschen Studien sieht man, dass sich MigrantInnen auch in einem hohen Maß den Medien ihrer neuen Heimat zuwenden. Österreichische MedienmacherInnen überlassen den anderen MitbewerberInnen aber relativ leichtfertig ein Publikum, das sie gut und gerne haben könnten. (derStandard.at, 2.5. 2008)