In Italien passiert Ungewohntes. Erstmals spendet die Linke im Senat einem Gegner Beifall, den sie bisher als bedingungslosen Vasallen seines Parteichefs Silvio Berlusconi verachtet hatte. Und Renato Schifani, der den Cavaliere nach eigenem Bekenntnis „im Herzen trägt“, huldigt plötzlich denen, für die er als Forza-Italia-Fraktionssprecher nur ätzende Kommentare übrighatte: „Wir sind gewillt, auch die Ansicht der Kommunisten zu hören, die leider nicht mehr im Hohen Haus vertreten sind.“ Wie bitte?

Selbst altgediente Senatoren spitzten die Ohren. Schifani, dessen Gesetz seinen Mentor Berlusconi durch Immunität vor drei Prozessen schützen sollte, stellte sich plötzlich als „Garant der Regeln“ vor. Die Opposition enthielt sich bei dessen Wahl zum Senatspräsidenten der Stimme und signalisierte damit Dialogbereitschaft.

Zwei Wochen nach der Wahl bestimmen neue Töne Italiens politische Szene. Da bietet der zukünftige Premier Silvio Berlusconi einem Abgeordneten des Partito Democratico das Amt des Arbeitsministers an. Pietro Ichino dankt in einem offenen Brief höflich und lehnt ab. Der prominente Arbeitsrechtler soll nun Chef des entsprechenden Parlamentsausschusses werden.

Auch in die Abgeordnetenkammer zieht plötzlich Tauwetter ein. Im ehrwürdigen Palazzo Montecitorio verfolgen 500 Parlamentarier Szenen, die noch vor wenigen Monaten undenkbar schienen. Der Postfaschist Gianfranco Fini umarmt mit feuchten Augen Kommunistenführer Fausto Bertinotti. „Es tut mir leid, dass du hier nicht mehr vertreten bist“, sagt der neue Kammerpräsident. Unter lebhaftem Beifall der Linken erklärt Fini den 25. April zum „Feiertag aller Italiener“. Der Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus war bisher von der Rechten ignoriert worden. „Das ist die Legislatur der gemeinsamen Reformen“, gibt sich Fini überzeugt.

Wenn die Zeichen nicht trügen, nähert sich in Italien die Stunde der überfälligen Reformen: drastische Reduzierung der fast 900 Parlamentarier, Einführung eines Senats der Regionen, mehr Zuständigkeiten für den Premier, föderalistische Verfassungsreform und neues Wahlrecht. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 3.5.2008)