Melman: Ab 2009 sei mit einem Angriff Israels auf den Iran zu rechnen.

STANDARD: Ihre persönliche Einschätzung: Wie weit ist der Iran mit seinem Atomprogramm, und gibt es ein Atomwaffenprogramm?

Melman: Es ist nicht einfach zu sagen, wo sie gerade halten, da gibt es widersprüchliche Berichte: Einerseits dürften sie in der Lage sein, alle Teile für ihre Zentrifugen (zur Urananreicherung, Anm.) selbst herzustellen, andererseits heißt es, dass sie technische Probleme beim Betrieb ihrer Zentrifugen haben. Aber diese Probleme werden sie überwinden, wenn nicht heuer, dann nächstes Jahr, und wenn nicht 2009, dann 2010. Darin stimmen die Geheimdienste überein: Zwischen 2009 und 2012/2013 wird der Iran in der Lage sein, genug hoch angereichertes Uran für seine ersten 2 bis 3 Bomben herzustellen. Denn wenn sie sich dazu entscheiden, dann machen sie mehr als eine. Ob sie das dann tun: Ich bin nicht sicher. Aber das ist mehr eine semantische Frage – vielleicht zögern sie ja, eine Bombe zu produzieren, aber sie wollen alles fertig haben, auch wenn sie sie vielleicht noch nicht montieren.

STANDARD: Also quasi das deutsche oder das japanische Modell: die zerlegte Bombe in der Schublade.

Melman: Mit dem Unterschied, dass sich die anderen Länder, die das könnten, eben nicht in diese Richtung entwickeln. Und nicht an Gefechtsköpfen forschen.

STANDARD: Was will der Iran mit der Bombe?

Melman: Erstens: Um seine Position als regionale – vielleicht auch mehr – Macht weiterzuentwickeln, zweitens, um das Überleben des Regimes zu sichern, drittens, wegen seiner Geschichte: historische Unterdrückung, durch Sunniten, Kolonialmächte, der US-Druck. Manchmal haben Paranoide ja wirklich Feinde. Deshalb glaube ich nicht, dass sie so leicht einen Kompromiss machen können wie Nordkorea, wo das Atomprogramm nur ein Mittel zum Zweck war.

Wobei es durchaus nicht klar ist, wie Khomeini zur Bombe stand. Einerseits war sie für ihn ein Symbol der moralischen Korruption des Westens, als Massenvernichtungswaffe, die ohne Unterschied tötet. Andererseits hat er ihre politische und strategische Bedeutung erkannt – wobei dazu kommt, dass die Welt in den 1980er Jahren kein Wort zu den irakischen Giftgasattacken auf den Iran gesagt hat.

STANDARD: Soweit klingt das alles ziemlich rational. Aber dann kommen die Drohungen von Präsident Ahmadi-Nejad gegen Israel.

Melman: Da wird ein Tabu gebrochen: Ein Land geht den Weg zu Atomwaffen gegen den Willen der internationale Gemeinschaft weiter, weil diese zu schwach ist, um adäquat zu reagieren. Mit Folgen: Im Mittleren Osten werden sich dem Wettrüsten weitere Länder anschließen, die sich jetzt plötzlich an zivilen Atomprogrammen interessiert zeigen, Saudi-Arabien, Ägypten, die Türkei, sogar Jordanien, die Emirate. Sie haben Angst vor dem Iran, vor den Schiiten. Und für Israel bedeutet es, dass ein Regime Waffen bekommt, das meint, Israel sollte nicht existieren, und das mit Feinden Israels zusammenarbeitet. Und der iranische Präsident hat eine wahre Israel-Obsession.

STANDARD: Wo liegt die Lösung?

Melman: Ich glaube, wenn alle beteiligten Parteien einen ernsthaften Druck ausüben, das heißt echte, harte Sanktionen verhängen würden, dann bliebe das nicht ohne Wirkung auf Teheran. Schauen Sie: Die iranische Regierung ist kein neues Nazi-Regime, das sind auch keine Khmer Rouge oder etwas Ähnliches. Es gibt eine Art von demokratischer Partizipation, und das Regime kann und will es sich nicht leisten, die Bevölkerung völlig zu entfremden. Es gibt ja so viele Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Iran, von der Armut, der Prostitution und den Drogen, bis zur Korruption des Regimes. Und dieses kann sich nicht ändern, so wie ein Tiger seine Zeichnung nicht ändern kann. Deshalb wird es einmal gestürzt werden, es ist nur die Frage, ob das sein wird, bevor oder nachdem es die Bombe bekommt. Und ich denke, das Regime würde mit Konzessionen auf harte Sanktionen reagieren. Ich bin übrigens auch dafür, dass die USA mit Teheran reden. Dialog und Härte, das braucht es.

STANDARD: Sie kritisieren auch den Gasdeal der OMV mit dem Iran?

Melman: Obwohl ich das österreichische Dilemma bei den Energieinteressen verstehe: Der Gas-Deal der OMV hätte verschoben oder zumindest anders verhandelt werden sollen. Österreich hätte etwas dafür verlangen müssen, Konzessionen. Man hätte viel härter sein müssen. Überhaupt sind wir dem Iran gegenüber viel zu nachgiebig – man denke nur an die Schweizer Präsidentin, die in Teheran mit dem Kopftuch herumläuft. Das Signal ist: Wir respektieren euch, aber erwarten nicht einmal, dass ihr uns auch respektiert. Österreich sollte dem deutschen Beispiel folgen: Deutschland ist der beste Alliierte Israels, besser als die USA, weil an die deutsche Unterstützung für Israel keine Interessen geknüpft sind.

STANDARD: Was wird Israel tun?

Melman: Wenn der Iran nicht diplomatisch gestoppt wird, wenn es keinen Kompromiss, etwa die Anerkennung der nuklearen Rechte des Iran bei gleichzeitiger Auslagerung der Uran-Anreicherung, gibt, wird Israel meiner Ansicht nach früher oder später angreifen.

STANDARD: Israel, nicht die USA?

Melman: Nein, ich glaube nicht, dass die USA das tun werden. Israel hingegen, nach dem was ich „Begin-Doktrin“ nenne, würde keinem seiner Feinde erlauben, eine Atomwaffe zu bekommen. Das hat sich im Irak 1981 gezeigt und in Syrien im September 2007, als Israel angegriffen hat, mit der stillschweigenden Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. 2009/2010 werden wir die nächste Implementierung der Begin-Doktrin sehen, wenn der Iran nicht gestoppt wird. Israel hat nicht die gleichen Möglichkeiten wie die USA, aber es kann und wird es tun.

STANDARD: 1998 haben Sie geschrieben, dass die israelischen Dolphin (atombewaffnete U-Boote) „eine neue Dimension in das Wettrüsten im Mittleren Osten“ bringen werden. Wir sprechen da von der israelischen Zweitschlagkapazität?

Melman: Das habe ich schon 1991 in der Washington Post geschrieben, als die Deutschen Israel erlaubt haben, ihre Dolphin in deutschen Werften zu bauen. Die Deutschen hatten damals ein schlechtes Gewissen, nachdem aufgeflogen war, wie viele deutsche Firmen am irakischen Atomwaffenprogramm beteiligt waren. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Printausgabe, 3.5.2008)