Unterwegs mit den Pieniny-Flößern.

Foto: Polskie Stowarzyszenie Flisakow Pieninskich
Die uralten Burgen und den Pieniny Nationalpark sollte man auf der rasanten Fahrt durch die Dunajec-Schlucht nicht einfach vorbeiziehen lassen.

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Viel hört man nicht über das Pieniny-Gebirge. Wahrscheinlich liegt es zu sehr am Rande der touristischen Landschaften Polens, vielleicht zu sehr im Schatten der benachbarten Hohen Tatra. Auch die Tatsache, dass ein Teil des Gebirges bereits 1932 zum Nationalpark erklärt wurde, vermochte den Namen Pieniny nicht bekannter zu machen. Damals wurde hier im Grenzgebiet zwischen Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei der erste grenzübergreifende Nationalpark Europas geschaffen, gilt doch das Pieniny-Gebirge als jene Landschaft Europas mit der artenreichsten Pflanzenwelt.

Das von Goralen, den "Gebirgspolen", besiedelte Bergland wäre im internationalen Fremdenverkehr wohl völlig unbekannt, gäbe es da nicht den Dunajec, jenen Nebenfluss der Weichsel, der während einiger Kilometer Gebirgsdurchbruch zum Grenzfluss zwischen Polen und der Slowakei wird und dabei eins der großartigsten Erlebnisse in Polen bietet. Die Touristen kommen aber nicht um das Flusstal, das als eines der schönsten Europas gilt, zu bewundern, sondern um seine Schlucht auf einer kühnen Floßfahrt zu erleben.

Seichter wird's nicht

Der Ruf der Wildnis hat einen Rufnamen: Sromowce Katy nennt sich der Ausgangspunkt der Tour, vor der Gebirgsbarriere des Pieniny liegt er noch an seichten Flussufern, südöstlich vom Czorsztynskie-See. Die eindrucksvolle Burg von Niedzica aus dem 14. Jahrhundert, die nur zwei Kilometer entfernt über dem See thront, hat man dann hoffentlich schon besucht.

Hier also beginnt das Abenteuer, wenn die mit dem Lastwagen von Szczawnica am Ausgang der Dunajec-Schlucht herangeschafften Flöße mit Fahrgästen besetzt sind. Natürlich sind das längst keine aus Baumstämmen zusammengebunden Flöße mehr, so wie früher, als die Goralen das Holz zur Weichsel brachten. Touristen müssen sich heute mit mehreren, untereinander verbundenen, schmalen Booten anfreunden. Und mit der Tatsache, dass sich die Flößer eigentlich nur mehr ihretwillen so bildhübsch aufs Wasser wagen.

Denn noch vor der Schlucht sind es die Flößer selbst, die jetzt unsere Blicke fesseln: Die Burschen mit den flachen schwarzen Filzhüten, überreich bestickten, ärmellosen Westen und weißen Filzhosen warten auf Kundschaft. Jetzt ist ein Floß besetzt, zwei springen auf, ergreifen die langen, schweren Lenkstangen, lassen das Gefährt zu Wasser. Bald treiben wir in einem Pulk von vier oder fünf Flößen hintereinander auf dem noch friedlichen Fluss. Einer der Burschen steht am Heck, der andere am Bug, nur schwerfällig lässt sich die Nussschale dirigieren.

Vor allem im Ausland lebende Polen kommen gern hierher, sie sind es nun, die die Flößer immer wieder anfeuern, das Fahrzeug durch besonders quirliges Wasser zu manövrieren. Der Dunajec nimmt's gelassen, noch fließt er seicht und breit an kleinen Waldstücken vorbei und an Gehöften, wo schnatternde Gänse durch die Wiesen ans Wasser schreiten. Dann ein kleines Dorf, Sromowce Nizne. Eine Handvoll Häuser gibt es hier, einen Greißler und ein Gasthaus, das heute praktisch nur mehr Gäste bewirtet, die über den Dunajec kommen. Eine Bushaltestelle verrät, dass zumindest hin und wieder jemand über die Straße kommt, die hier auf dem polnischen Flussufer endet.

Zwischen Sromowce Nice auf der polnischen und Ceverný Klástor auf der slowakischen Seite beginnt der Durchbruch. Der Fluss, in einer engen Rinne zwischen plötzlich aufgetauchten Felswänden eingezwängt, scheint sich hier befreien zu wollen. Ringsum ein nasses Chaos, das Wasser schießt dahin, prallt gegen Felsen, die sich ihm in den Weg stellen, es dreht sich, schäumt und gischtet.

Die Flößer, bislang äußerst lässig unterwegs, hantieren nun wild mit ihren Stangen, wenn das Floß einen der kleinen Katarakte überquert. Dann weitet sich für einen Augenblick die Schlucht, eine langgezogene Geröllbank liegt vor den Felsen, Fischotter sonnen sich, während hoch oben über dem Buchenwald die Adler kreisen. Ein letztes Mal begehrt der Fluss noch auf, und dann abrupt: Der Natur scheint endgültig der Atem ausgegangen zu sein für dieses Schauspiel. Die Felsen weichen und nach drei Stunden ist mit Szczawnica das Ziel erreicht.

Mündet in Geschichte

Hier muss denn auch die Entscheidung fallen, wie weit man zurückreist - zurück in die Geschichte von Kleinpolen. Der für seine sieben Mineralquellen bekannte Kurort Szczawnica überrascht mit einer Architektur, die teilweise aus den 1840er-Jahren stammt, aber sehr an die Jahrhundertwende danach erinnert. Wer hingegen die Rückfahrt auf trockenem aber durchaus nicht so eindrucksvollem Weg nach Sromowce Katy antritt, hat wohl Lust auf Älteres. Denn die Burg am Czorsztynskie-See am Beginn der Tour war nur der Auftakt zu einer touristisch noch kaum aufbereiteten Weiterreise. Mit den oft nur als Ruinen verbliebenen und weitgehend unbekannten Schlössern, Burgen und befestigten Kirchen nordwestlich vom See führt sie immerhin zurück bis ins 13. Jahrhundert. (Christoph Wendt/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.4.2008)