Der Fall ist so grauenerregend, dass es der Verstand kaum fassen kann: Eine Frau soll von ihrem eigenen Vater 24 Jahre lang in den Keller des eigenen Hauses gesperrt, missbraucht und gequält worden sein. Sie hat insgesamt sieben Kinder des mutmaßlichen Täters zur Welt gebracht, die zum Teil ebenfalls mit ihr eingesperrt wurden. Vielleicht wäre noch lange Zeit nichts von all dem aufgeflogen, wenn nicht eines der Kinder lebensgefährlich erkrankt wäre - und die Behörden am Ende doch noch, nach einem ominösen "Tipp" aus der Bevölkerung, eingegriffen hätten.

Dass sich ausländische Medien auf den Fall stürzen und die auf der Hand liegenden Parallelen zum Martyrium der Natascha Kampusch aufgreifen, ist logisch. Die Frage "Wie konnte das passieren?" schwingt in allen Berichten mit. Tatsächlich drängen sich bei diesem monströsen Kriminalfall Fragen nach der gesamten Verfassung einer reichen, selbstzufriedenen Gesellschaft auf, in der ein Vierteljahrhundert lang nicht bemerkt worden sein soll, was in unmittelbarer Nachbarschaft abgegangen ist.

Wie ist es möglich, dass niemand je etwas gehört oder gesehen hat, wie kann es sein, dass niemand Fragen stellte? Was sagt es über Nachbarn aus, was über weitschichtigere Verwandte, Bekannte und nicht zuletzt auch über jene Menschen, die rein behördlich mit der Familie zu tun hatten, dass es dem Tatverdächtigen gelingen konnte, alle zu "täuschen"?

Es wird nicht möglich sein, nach diesem Fall zur Tagesordnung überzugehen. Eine ganzes Land muss sich fragen, was da eigentlich grundsätzlich falsch läuft. (Petra Stuiber, DER STANDARD - Printausgabe, 28. April 2008)