Schafft den Alltag trotz der erheblichen Belastung: Natascha Kampusch

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Die Staatsanwaltschaft Wien zieht Ludwig Adamovichs im Standard bekräftigte Zweittätertheorie in der Causa Kampusch in Zweifel. Jetzt diskutieren Experten, wie das Entführungsopfer künftig geschützt werden kann - Von Irene Brickner

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Bei ihrer Vernehmung, "die sehr gründlich war und sich über Tage gezogen hat", habe Natascha Kampusch "die Existenz von Mittättern Wolfgang Priklopils eindeutig ausgeschlossen". Auf Komplizen des Verbrechers, "von deren Existenz sie vielleicht gar nichts wusste", gebe es in den 166 Aktenordner umfassenden Unterlagen der Polizei "keinen Hinweis". "Ich weiß wirklich nicht, wie Ludwig Adamovich zu seiner Ansicht kommt, dass in diesen Fall dritte Personen involviert gewesen sein könnten", beteuert Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien.

Verdacht kann man nicht wegwischen

Doch der Chef der Kampusch-Untersuchungskommission und ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes bleibt dabei: Man könne "das Moment dritter Personen, die in diesen Fall involviert sein könnten, nicht ohne weiteres wegwischen" wiederholte Adamovich in den Salzburger Nachrichten seine in der Standard-Mittwochausgabe gemachten Aussagen. Im Standard hatte er von möglichen weiteren Tätern gesprochen, die nicht zuletzt aus Gründen "der öffentlichen Sicherheit" gesucht werden müssten. Konkreter wurde er nicht.

Zwischennericht fix

"Nicht zufällig" denke die Kampusch-Kommission jetzt, nach der Veröffentlichung intimer Details über das Leben Kampuschs in Gefangenschaft und dem Wiederaufflammen der Zweittäter-Spekulationen, ernsthaft über einen außertourlichen Zwischenbericht nach, sagte Adamovich am Mittwoch. Der Zwischenbericht sei so gut wie fix: Eine Aussicht, die bei dem Jugendpsychiater Ernst Berger gemischte Gefühle auslöst.

Für Kampusch aufreibend

"Schon die Umstände, die zur Schaffung der Kommission geführt haben, waren für Natascha Kampusch sehr aufreibend. Die Veröffentlichung angeblicher Einzelheiten aus den Zeiten ihrer Gefangenschaft und die neuerliche Zweittäterdiskussion irritieren sie jetzt noch zusätzlich", schildert der Mann vom Fach, der in die Behandlung der jungen Frau weiterhin mitinvolviert ist.

Mit ihrer in belastenden Situationen "erstaunlichen Resistenz" schaffe die 20-Jährige ihren Alltag nach wie vor. Sie gehe in die Schule, lerne für den Führerschein – doch aus der Erfahrung in der Arbeit mit Menschen nach schwer traumatisierenden Erlebnissen "ist mir klar, dass auch ein Rückfall möglich ist", sagt Berger.

Überschreitungen

Das "Aufdecken" persönlicher Angelegenheiten überschreite eindeutig die persönlichkeitsrechtlichen Grenzen (siehe Wissen: Wann Privates in Medien tabu ist), betont der Jugendpsychiater: "Und ich frage mich, ob das Wiederaufkochen der Zweittäterthese nicht den Ansprüchen des Opferschutzes widerspricht." Immerhin fänden diese Spekulationen auf der Grundlage von Aktenteilen statt, die im Landesgericht jahrelang unter Verschluss gelegen und nur durch Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt seien.

Verdachtsmomente

Dem widerspricht Christian Pilnacek, Leiter der Abteilung für Strafrecht im Justizministerium. Verdachtsmomenten müsse auf jeden Fall nachgegangen werden – "und wenn sie aus einer Akte stammen, die auch schützenswerte Informationen enthält, so kann die Behörde diese ja ausscheiden und von Amts wegen ermitteln".

Auf Vertraulichkeit dringen

Der Opferschutz sei in einer Grundsatzbestimmung der Strafprozesordnung festgeschrieben und seit Jahresbeginn 2008 verstärkt worden. Komme die Kampusch-Kommission also zu dem Schluss, dass es ernst zu nehmende Zweittäterhinweise gebe, so werde es zwar neuerliche Ermittlungen geben. Die junge Frau jedoch könne auf Vertraulichkeit und, im Fall von Befragungen, auf Ausschluss der Öffentlichkeit dringen. Dies kann sie übrigens auch bei der von Adamovich mit Spannung erwarteten Zeugenaussage beim Prozess ihrer Mutter Brigitta Sirny gegen Martin Wabl tun. (Irene Brickner/ DER STANDARD Printausgabe 24.4.2008)