Susann Bräcklein: "Kann man sich die Befragungen im Fernsehen anschauen, kann man sich ein reelles Bild davon machen, was wirklich gesagt wurde. Das kann Stimmen kosten, ist aber von enormer Bedeutung für die Demokratie."

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Wie in Österreich werden Untersuchungsausschüsse auch in Deutschland oder den USA als Mittel der parlamentarischen Kontrolle eingesetzt. Vor allem in den USA blickt man auf eine langjährige Tradition zurück. Die Juristin Susann Bräcklein hat sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit mit Untersuchungsausschüssen in Deutschland und den USA auseinandergesetzt und einem verfassungsrechtlichen Vergleich unterzogen.

Im Interview mit derStandard.at erklärt sie, warum die Befragungen in den U-Ausschüssen im Fernsehen übertragen werden sollten, was die Probleme sind, wenn U-Ausschüsse nicht als Minderheitenrecht eingesetzt werden können, und welche Gefahren es gibt, wenn der Untersuchungsgegenstand im U-Auschuss zu umfangreich und unpräzise definiert ist, wie im aktuellen Untersuchungsausschuss zur Causa Innenministerium. Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.

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derStandard.at: Was kann man vom US-amerikanischen Modell der parlamentarischen Kontrolle lernen?

Bräcklein: Fast alle Kongressausschüsse agieren öffentlich, überwiegend medienöffentlich und werden häufig im Fernsehen übertragen. Damit sind auch skandalträchtige parlamentarische Untersuchungen transparenter, als man dies von Deutschland kennt, obwohl die Funktion die gleiche ist: Ein Untersuchungsausschuss ist für die Öffentlichkeit gedacht, er soll die Bevölkerung informieren. Man soll sich ein eigenes Bild von den Personen machen können, die fragliche Entscheidungsprozesse zu verantworten haben. Ein Amtsträger, der die Öffentlichkeit und die Kameras gewohnt ist, soll auch in der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen.

derStandard.at: Das deutsche Publikum konnte erstmals im Visa-Untersuchungsausschuss 2005 die Befragungen im Fernsehen mitverfolgen.

Bräcklein: Ja. Es war das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass die Zeugenvernehmungen namhafter Politiker, unter anderem des damaligen Außenministers Joschka Fischer, live übertragen wurden. Als Bürger wird man aus den Ausschussberichten, die am Ende, wenn das Interesse schon abgeflacht ist, aber manchmal auch aus Presseberichten nicht schlau. Kann man sich das aber anschauen, kann man sich ein reelles Bild davon machen, was wirklich gesagt wurde. Das kann Stimmen kosten, ist aber von enormer Bedeutung für die Demokratie.

derStandard.at: In Deutschland sind U-Ausschüsse, im Gegensatz zu Österreich, ein Minderheitenrecht. Was sind die Vorteile, wenn ein U-Ausschuss ohne Stimmenmehrheit eingesetzt werden kann?

Bräcklein: Wenn die Parlamentsmehrheit die Regierung trägt, gibt es das Spannungsverhältnis nicht, was effektive parlamentarischer Kontrolle zwingend braucht. Dann hat die Parlamentsmehrheit häufig kein so großes Interesse, Fehler oder individuelles Versagen zu untersuchen. Nur im absoluten Ausnahmefall, wie dies in Österreich beim aktuellen Untersuchungsausschuss, wo der Druck von der Öffentlichkeit dann so groß ist, kommt es zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Nur wenn auch die Opposition das Untersuchungsrecht gebrauchen kann, ist der U-Ausschuss ein wirksames Instrument.

In Deutschland ist die Einsetzung eines U-Ausschusses ein Minderheitenrecht. Wenn dies ein Viertel der Abgeordneten beantragt, muss der Ausschuss eingesetzt werden. Das steht in der Verfassung. Wir verdanken diese Regelung Max Weber, der sie 1919 für die Weimarer Reichsverfassung entworfen hat.

derStandard.at In Österreich gab es gerade eine hitzige Debatte wegen aus Datenschutzgründen nicht erfolgter Aktenübermittlungen von Seiten der Ministerien. Wie wird in Deutschland mit Datenschutzfragen umgegangen?

Bräcklein: Natürlich gibt es auch in Deutschland immer wieder Streit und Gerangel um Aktenvorlage oder Aussagegenehmigungen von Beamten. Hier werden Geheimschutzordnung oder die sonstigen Verfahrensregeln im jeweiligen Interesse ausgereizt. Es gibt eine Reihe von Gründen, zum Beispiel bei der Gefährdung von Leib und Leben, die die Geheimhaltung oder Anonymisierungen rechtfertigen können. Häufig wird auch nur versucht, den Laden dicht zu halten. Manchmal endet dies vor den Gerichten, im aktuellen Fall des Geheimdienste-Ausschusses vor dem Bundesverfassungsgericht.

derStandard.at: Ist es also trotzdem möglich, den Personenschutz zu gewährleisten?

Bräcklein: Theoretisch und praktisch kann man das im Verfahren leisten. Wenn man Mitarbeiter nicht beim Namen nennt und dadurch nicht an den Pranger stellt. Das hat in Deutschland der Visa-Ausschuss gezeigt. Man kann zwischen Verantwortungsträgern und Beamten unterscheiden, die sich nicht vor der gesamten Öffentlichkeit zu verantworten haben, weil deren Entscheidungsspielräume gering sind. In den USA sind dies High Officials. Der Persönlichkeitsschutz kann also in der Regel nicht dazu führen, das Verfahren absolut zu schließen.

derStandard.at: Der U-Ausschuss zur Innenministeriumsaffäre ist sehr umfangreich. Welche Probleme können auftauchen?

Bräcklein: Ein Untersuchungsausschuss will Beweise erheben. Ein Vorwurf, der im Raum steht, soll nachgewiesen oder widerlegt werden. Ist das Untersuchungsthema zu weit gefasst oder sind, wie derzeit im BND-Untersuchungsausschuss, zu viele Untersuchungskomplexe aufgenommen, kann es sein, dass das Verfahren nur schleppend vorangeht. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass das Aufklärungsinteresse der Mitglieder des Ausschusses abnimmt. Manchmal verlaufen die Vorwürfe dann im Sand. Das haben wir im Kohl-Untersuchungsausschuss gesehen, der die Spendenpraxis der CDU untersucht hat.

derStandard.at: Wie ist das in den USA?

Bräcklein: Die Gefahr ist natürlich die gleiche. Meiner Erfahrung nach sind Congressional Investigations aber dort ein quasi ständiges Geschäft. Der US-Kongress ist nicht nur eine gewaltige Untersuchungsmaschine, er steht - auch auf Grund des Präsidialsystems - in einem natürlichen Spannungsverhältnis zum Präsidenten und dessen Verwaltungsapparat. Hohe Beamte verbringen viel Zeit in Anhörungen der Kongressausschüsse, informieren und rechtfertigen ihre Entscheidungen. Hierfür braucht es häufig nicht der latenten Androhung von Zwangsmitteln, wie dies für den deutschen Untersuchungsausschuss typisch ist. Erinnern Sie sich an die Vernehmung von Condolezza Rice im Rahmen der 9/11-Untersuchungen: die konnte man ja auch live auf CNN verfolgen. (derStandard.at, 22. April 2008)