Der schwule Gast ist der gute Gast, weil er öfter verreist und mehr Geld ausgibt.
Anfang April ist die Regenbogenfahne in Sölden nun jedes Jahr sehr präsent.

Foto: Ötztal Tourismus
Eine steile Skipiste unter dem Gletscher von Sölden in Tirol. Blaue und rote Tore sind ausgesteckt, das Rennen ist in vollem Gang. Im Zielbereich skandiert eine Gruppe Fans lauthals: "Uschi, Uschi, Uschi!" Die so angefeuerte Uschi fährt rasant über die Ziellinie. Wir sind aber nicht beim Weltcup-Auftakt in Sölden. Uschi ist keine Teamkollegin der ÖSV-Damen Alexandra Meissnitzer oder Nicole Hosp. Uschi ist ein junger Mann, heißt eigentlich Frank und kommt aus Baden-Württemberg. Das Rennen findet am Abschlusstag einer schwulen Skiwoche in Sölden statt, organisiert von Ötztal Tourismus. Also von ganz offizieller Stelle.

Sölden hält mit diesem Gay Snowhappening, das bereits zum neunten Mal stattfindet, nicht hinter dem Berg. Das Angebot für die homosexuelle Zielgruppe wird auf der Homepage www.soelden.at prominent beworben: "Eine Woche lang tummeln sich schwule Skihaserln aus ganz Europa auf Söldens Skipisten und genießen bei herrlichem Wetter und besten Pistenbedingungen eine unvergessliche Urlaubswoche." So steht es direkt neben "Hannibal", der großen Multimedia-Performance über die Alpenquerung mit Elefanten oder "Wein am Berg", einer Degustation auf über 3000 Meter Seehöhe. Zwar antwortet ein Taxifahrer auf die Frage, was die vielen Regenbogenfahnen in der Ortsmitte bedeuten, dass zurzeit die "komische Woche" in Sölden sei. Aber es ist nicht zu übersehen: Schwule Gäste sind in Sölden willkommen.

Kritische Stimmen verstummen

Vor neun Jahren trat eine Agentur an Ötztal Tourismus mit der Idee für eine schwule Skiwoche heran. Die Verantwortlichen überlegten und setzten die Idee auch gegen kritische Stimmen in den eigenen Reihen um. Schließlich möchte Sölden als zweitstärkste Tourismusgemeinde nach Wien 15.000 Gästebetten belegen und auch in schwächer ausgelasteten Phasen des Winters abseits von Schulferien die Gästezahl auf hohem Niveau halten. So findet das Gay Snowhappening immer Ende März, Anfang April statt.

"Die kritischen Stimmen sind verstummt", sagt Barbara Schöpf, bei Ötztal Tourismus für Events und Sonderprojekte zuständig. In ihrem Verantwortungsbereich liegt das Gay Snowhappening. "Kommen die Hoteliers und Gastwirte erst einmal mit den schwulen Gästen in Kontakt, dann passt das schon", spricht die gebürtige Ötztalerin aus Erfahrung. "Sie erkennen schnell, dass der schwule Gast der gute Gast ist." Was macht den guten Gast aus? Barbara Schöpf lacht: "Der gute Gast gibt einfach mehr Geld aus. Nicht nur das Quartier oder der Skipass schlägt dabei zu Buche, sondern auch Après-Ski, Shopping, Restaurants und Nachtleben." Damit bestätigt Barbara Schöpf diverse Studien aus den vergangenen Jahren, die besagen, dass schwule Männer im Vergleich zu Heteros nicht nur öfter verreisen, sondern auch bis zu 45 Prozent mehr Geld dabei ausgeben. Ein höheres Reisebudget beschleunigt also den Abbau von Vorurteilen.

Die gleichen Studien zeigen aber auf, dass die schwule Zielgruppe beratungsintensiv, serviceorientiert und sensibel reagiert. Daher lässt Sölden das Gay Snowhappening über eine Agentur, die aus der Community selbst kommt, planen und bewerben. Wer die schwulen Codes und Dos and Dont's nicht kennt, läuft Gefahr, ordentlich ins Fettnäpfchen zu treten. Nur "gay-friendly" auf das Angebot zu kleben reicht nicht. Erlebt der schwule Gast eine Mogelpackung, kommt er im nächsten Jahr nicht wieder. Und so etwas spricht sich herum.

"Schnell", "Mittel" und "Langsam"

In Sölden ist das nicht der Fall. Waren es vor neun Jahren noch 40 Männer, die von den drei Dreitausendern schwul runterwedeln wollten, sind es 2008 bereits an die 250. Egal, ob sie als Paare oder als Singles kommen, allein bleiben muss niemand. Dafür sorgt das tägliche Programmangebot. Jeden Tag trifft man sich um 10.00 Uhr an der Bergstation der Giggijochbahn. Dort werden die Gäste in die Gruppen "schnell", "mittel" und "langsam" eingeteilt. Dann geht's los. Je ein erfahrener Skiguide führt die jeweilige Gruppe mit Skifahrern und Snowboardern über die insgesamt 147 Kilometer langen Pisten bis auf die schneesicheren Gletscher.

Dabei wartet der Skiguide Christian "Hagi" Rimml nur darauf, dass ihn ein Neuling fragt, was das für Gestelle abseits der Pisten seien. Gemeint sind die Vorrichtungen zur Lawinenverbauung. "Das sind unsere Edelweißplantagen. Das Edelweiß rankt sich daran hinauf und wird von uns im Sommer geerntet", feixt dann der Hochsöldener. Ein Schmäh, wie er auch bei den heterosexuellen Gruppen läuft. Business as usual.

Nächster Treffpunkt der Gruppen ist in einer Hütte zum Mittagessen. An jedem Tag der Woche steht eine andere Hütte auf dem Programm. Danach führen die Skiguides wieder über die Pisten, bis sich die Gruppen zum Après-Ski treffen. Auch hier weicht nichts von der üblichen Norm: illuminierte Partystimmung und Musikperlen der Marke "Das sind nicht 20 Zentimeter, nie im Leben, kleiner Peter". Dazu lässt sich vortrefflich grölen, egal ob man schwul oder hetero ist.

Urlaub von der Minderheit

Zum Glück ist das Programm nicht verpflichtend. Einerseits lässt sich ein Party- inklusive Skipass für die ganze Woche buchen. Will man aber nur nach Lust und Laune die einzelnen Events besuchen, klappt das auch. Ob Hütten- oder Thermenabend, ob Karaoke oder Kegeln, jeden Abend wird etwas anderes angeboten. Mittlerweile treten die Après-Ski-Veranstalter, Hoteliers und Disco-Betreiber an Ötztal Tourismus heran, um in die Angebotsliste des Gay Snowhappenings aufgenommen zu werden.

War bei den Veranstaltungen nichts Passendes dabei? Dann genießt der Schwule einfach, sich mit vielen anderen Schwulen beim Frühstücksbuffet anzustellen. Es ist für Homosexuelle auch entspannend, mit ihrem geliebten Partner in einem Speisesaal Händchen zu halten, ohne dass irgendjemand überrascht oder befremdet aufschaut. Urlaub von der Minderheit.

Barbara Schöpf will, dass sich die Gäste wohlfühlen, und ist während der Woche Ansprechpartnerin für alle Teilnehmer des Gay Snowhappenings. Egal ob die Frage " Wo geht's denn hier zum Klo" oder "Kannst du mir den Typen dort drüben vorstellen? Ich möchte ihn gerne kennenlernen" lautet. Sie lädt auch jeden schwulen Gast persönlich ein, sich für das Abschlussrennen am letzten Skitag anzumelden. Warum sie sich diese Mühe macht? Barbara Schöpf lacht wieder: "Ich kenne meine Gäste. Sonst bekomme ich zu hören: Mich hat ja niemand eingeladen!" Beratungsintensiv und serviceorientiert könnte eventuell auch "prinzessig" heißen. Schnellster beim Abschlussrennen 2008 war übrigens Uschi. (Peter Fuchs/DER STANDARD/rondo/18/04/2008)