Zukunft und Vergangenheit der elektronischen Musik in einer Person: Der Brite Clark präsentiert beim heurigen "donaufestival" seine zerschundenen Geräuschlandschaften erstmals in Österreich.

Foto: Warp Records / Edel
Das "donaufestival" bietet aktuelle Vertreter der Menschmaschinenmusik.


Jene Acts des "donaufestivals", die primär dem weiten, weiten Feld der Elektronik zugerechnet werden können, fügen sich dieses Jahr in der Unterschiedlichkeit ihrer Ausrichtungen und Intentionen zu einem seltsamen Patchwork, das in seiner Zerrissenheit für einen repräsentativen Ausschnitt der Szene gewertet werden darf.

Der Samstag des ersten Wochenendes steht gänzlich im Zeichen von Menschmaschinenmusik: Mit dem 28-jährigen Engländer Chris Clark, der seit seinem vorletzten Album Body Riddle den Vornamen aus seiner Künstleridentität gestrichen hat, da ihm laut eigenen Aussagen ein schlichtes "Clark" am Plattencover besser gefällt, hat das donaufestival einen Mann ins Programm geladen, der Vergangenheit und Zukunft der elektronischen Musik in sich vereint.

Seit Beginn seiner Karriere vor gut acht Jahren schraubt Clark an der Ausformulierung eines eigenen künstlerischen Profils: Deutlich beeinflusst von den Klangbauplänen des versponnen Eigenbrötlers Richard D. James alias Aphex Twin oder der fein gedrechselten Beatschmiedekunst eines Squarepushers und deren mythenumwehten Heimatlabel Warp - das sinnvollerweise sogleich auch zum ständigen Ankerplatz für Clark selbst werden sollte -, entwickelt Chris Clark seit jeher zerschundene Geräuschlandschaften, düster und von tiefen Furchen durchzogen.

Hört man nun sein neues, sehr gutes Album Turning Dragon, möchte man meinen, dass es ohnehin langsam an der Zeit für ein Revival von Mitte-90er-Elektronik wäre - den Gesetzen der zyklischen Bewegung folgend. Turning Dragon repräsentiert den klassischen, heute nur noch selten gehörten Sound von Warp: böse Fiepse, Bleeps und Clonks allerorten, das Rumpeln der Geräte beschwört die Geister von Industrial. Die Beats laufen mal gerade, mal aus dem Ruder, sind nahezu durchgehend tanzbar, wenn bisweilen bloß für die motorisch Talentierten gebaut. Auch wenn Raum bleibt für zartbittere Melodien, präsentiert sich Turning Dragon beständig als dunkler Monolith, seine Kanten sind scharf.

Clark haucht den eingerosteten Strukturen Leben ein und deutet sie in Bereiche zeitgenössischen Technos um. Der Mann lebt schließlich in Berlin. Hier schmieden ins Morgen weisende Versuchsanordnungen und Partybefehl bedrohliche Allianzen.

Unheilvolles Knistern Sollten die bereits veröffentlichten Platten als bloße Grundlage für die Beurteilung eines Künstlers dienen, kann dem aus Montreal stammenden Tim Hecker, der im Anschluss an Clark mit seinen teils süßlichen, teils unheilvoll knisternden Geräuschschwaden die große Halle des donaufestivals durchlüften wird, nur wenig vorgeworfen werden.

Innerhalb der international renommierten kanadischen Szene für gestrengen elektronischen Minimalismus zwischen Microhouse, Clicks 'n' Cuts und in Richtung Zeitlupe geschraubtem Dub mit Acts wie Akufen oder Deadbeat steht Hecker für Ambient und beatfreies Rauschen. Auf seinen Veröffentlichungen - besonders hervorzuheben wäre vielleicht das 2006 beim Chicagoer Feinschmeckerlabel Kranky erschienene Album Harmony in Ultraviolet - formt er unter Zuhilfenahme seines Rechners dichte Klangwälle, die dem in den frühen 90ern aus unzähligen Effektgeräten gequetschen Dröhnen von Shoegazer-Bands wie My Bloody Valentine nicht unähnlich sind, und würzt hie und da mit echter Gerätschaft nach: Gitarre und Piano beispielsweise. Ein Knuspern, ein Brutzeln, es ist Tim Hecker, der feingliedrige Maschinenschlosser. Ein Konzert, das möglicherweise im Liegen verfolgt werden möchte.

Ein weitverbreiteter aber harmloser Irrtum unter Freunden des klassisch gestrickten Popsongs ist es, instrumentale, atmosphärisch gedachte Musik sofort mit Soundtrack-Musik gleichzusetzen. Im Falle von Amon Tobin jedoch klopft die Verlockung zu derlei Mutmaßung sachte an die Tür. Immerhin hat der schon seit gut zwölf Jahren höchst erfolgreiche Brasilianer bereits Computerspiele und Kinofilme mit geschmacksicheren Klangtapeten geschmückt; beim donaufestival dürfte er wohl für die Bereitstellung einer ungezwungenen, leichtfüßigen Tanzmusik zuständig sein.

Elektrische Entspanntheit Dass der Mann, der weltumspannend als eines der Aushängeschilder des Londoner Labels Ninja Tune die Fahnen der elektronischen Entspanntheit hochhält, mit seinem stark auf Samples basierenden Musikentwurf zwischen zurückgelehntem Drum 'n' Bass, angejazztem HipHop und Breakbeats jeglicher Couleur bisweilen in leicht ethnokitschiges Kaffeehausgedudel wegdriftet, möge ihm verziehen sein. Sein Album The Foley Room aus dem Jahr 2007 jedenfalls, auf das die Performance beim donaufestival wohl ihr Hauptaugenmerk richten wird, ist in seinem Zusammendenken von Holzblockgeklopfe, Field Recordings, leichten Ahnungen von Dubstep und organischem Sound eines der besseren in Tobins Karriere.

Am Freitag der darauffolgenden Woche schmeißt das in Massachusetts ansässige Duo Vedette noch einmal alles in den Topf. Hallfahnen, entschlackte Beats, Samples, schaurige Drones und Gesang in fremden Zungen: eine Heimsuchung. Tanzen und Krach, Experiment und "sweet harmony", vier Stützpfeiler der Elektronik sind errichtet. (Philipp L'Heritier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.4.2008)