Fast scheint es, als würde die Debatte um den Ethikunterricht an Österreichs Schulen, zunächst ein Sturm im Wasserglas, zu einem Minikulturkampf auszuarten. Denn der von der SPÖ herab gespielte Vorstoß der ÖVP, den Ethikunterricht an Österreichs Schulen zum Pflichtgegenstand zu machen, erregt nicht zu Unrecht aufgrund der damit verbundenen Rahmenbedingungen die Gemüter. Ethik statt Religion, oder schulfrei statt Religion, Ethik als nachrangiger Pflichtgegenstand, falls nicht Religion gewählt wird, oder Ethik als verpflichtendes Unterrichtsfach für alle, ohne Rücksicht auf Teilnahme oder Nichtteilnahme am Religionsunterricht, werden hier als Alternativen angeboten.

Einen schlechten Beigeschmack erhält das Ganze freilich, wenn die Debatte um den Begriff des Ersatzes zu kreisen beginnt.

Vollends absurd wird es aber auch dann, wenn ernsthaft die Meinung vertreten wird, dass ausgebildete Religionslehrer durchaus den "Ersatz-Ethikunterricht" übernehmen könnten, oder wenn der Gedanke im Raum steht, dass ein bisschen Ethik vom Turnunterricht bis zur Physik oder dem Deutschunterricht mit angeboten werden könnte.

Ethik ist kein Ersatz für Religion. Ganz abgesehen davon, dass ein Ersatzunterricht, wie Lisa Nimmervoll in ihrem Kommentar (Standard, 9.4.) anführt, nach Ersatzdienst und Strafe riecht.

Österreichische Lösung

Es ist bei aller Wertschätzung des Religionsunterrichtes und der darin selbstverständlich auch anzusprechenden Fragen nach Werten, nach der gängigen Moral und nach den Ausrichtungen unseres Handelns, für die Tradition unseres Landes typisch, dass eben diese Fragen offenbar automatisch der Religion überantwortet werden - ich weiß schon, es gibt eine ehrwürdige und lange Tradition der Moraltheologie, deren Antworten aber inzwischen sich weitgehend einem interreligiösen Dialog stellen müssen.

Ethik ist aber ein nicht unwichtiges, sondern nachgerade zentrales Gebiet der Philosophie. Es mutet merkwürdig an, dass zwar Religionslehrer fraglos befähigt erscheinen, Ethikunterricht zu erteilen, dass aber den Philosophielehrern dieses Zutrauen nicht entgegengebracht wird. Dass die Kirche als Hüterin der öffentlichen Moral weitgehend an Ausstrahlung verloren hat, dass sich unsere Gesellschaft einer Mehrzahl von Konfessionen gegenüber sieht und sich in einem tief greifenden Säkularisierungsprozess befindet, sollte nicht übersehen werden.

Vollends ärgerlich wird dies aber im Vorstoß der ÖVP, Ethik als nachrangigen Pflichtgegenstand zu bezeichnen, das heißt dann gewählt werden muss, wenn eine Abmeldung vom Religionsunterricht erfolgt. Diese Hierarchisierung verleiht dem im Prinzip wichtigen Vorschlag der ÖVP einen üblen Nachgeschmack.

Immerhin hat es Jahre gedauert bis der Widerstand gegen einen Regelunterricht Ethik von eben derselben Partei aufgegeben wurde. Ethik ist bisher im Rahmen von Schulversuchen angeboten worden, und falls man den Evaluationsstudien Glauben schenken kann, sehr positiv rezipiert worden. Die oberflächliche Aufrechnung, dass zwei Stunden Ethikunterricht besser seien, als zwei Stunden Freizeit, falls man sich vom Religionsunterricht abmeldet, drückt die Bedeutung eines Ethikunterrichtes ebenfalls herab.

Gerade in Hinblick auf die weltweit zu beobachtende Hochkonjunktur ethischer Fragestellungen, die nicht zuletzt durch die Entwicklungen der Biologie, der Medizin, und der Technik hervorgerufen wurden, ist Ethik als eigenständiges Fach im Bildungsbereich anzusehen. Dies entspricht sowohl dem Artikel 14 der Verfassung als auch dem österreichischen Schulorganisationsgesetz.

Der Anspruch des Ethikunterrichts, Bildung und Entwicklung kritischer Reflexion bezüglich der Frage nach Normen und der gesellschaftlichen wie auch individueller Entscheidungen zu vermitteln, ist weder mit dem Anspruch einer Religion gleichzusetzen, noch soll sie als Ersatz für Religion missbraucht werden: Ethikunterricht darf weder als Anti-Religionsunterricht verstanden werden, noch als versteckter Religionsunterricht. Genau zu letzterem aber tendiert der Gesetzesvorschlag und leistet damit für Ethik und Religion einen schlechten Dienst.

Das Missverständnis, dass Ethik in einem Aufsammeln von Verboten und Geboten besteht, ist aus der Welt zu schaffen. Ethik versteht sich seit ihren Anfängen als der Versuch, zu einem guten Leben in sozialen Zusammenhängen zu verhelfen. Deshalb ist auch die Frage nach der Ausbildung von Ethiklehrern außerordentlich wichtig. Sie Religionslehrern zu überlassen, oder sie in Form von Crash-Kursen anzubieten, ist gelinde gesagt fahrlässig.

Ansätze für eine gediegene Ausbildung gibt es: So bietet etwa die Universität Wien seit 2003 einen Universitätslehrgang Ethik an, der für Gymnasiallehrer als Zusatzausbildung gedacht ist, und der interdisziplinär - unter anderem auch mit der Theologie - angelegt ist. Ein übergreifender Lehrgang mit der Pädagogischen Hochschule in Strebersdorf liegt ausgearbeitet vor und soll eine fundierte Basis für die Ausbildung der Ethiklehrer darstellen.

Ob damit die Hoffnung eines Andreas Khol, dass "der Ethikunterricht den konfessionellen Religionsunterricht stützen wird", in Erfüllung geht, bleibt freilich offen. (Peter Kampits/DER STANDARD, Printausgabe, 15. April 2008)