Im sehr düsteren TV-Thriller "Das jüngste Gericht" jagt Tobias Moretti einen bestialisch mordenden Serienkiller.

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Standard: Als Schauspieler, der Herausforderungen in historischen oder literarischen Figuren findet, kehren Sie immer wieder zum Krimi zurück. Brauchen Sie Bodenhaftung?

Moretti: Es gibt verschiedene dramatische Formen und im Film das wichtige Genre Krimi. Ich denke, der Zuschauer hat eine fast pathologische Sehnsucht nach Angst – der er aber wieder entfliehen will. Deshalb schafft man im Film Ausnahmesituationen, und die Krönung ist der Serienkiller. Letztlich geht es aber weniger um das Genre als darum, wie man die Figuren beleuchtet.

Standard: Mit Urs Egger arbeiten Sie schon zum zweiten Mal. Schätzen Sie ihn, weil er Ihnen viel Spielraum für die Entwicklung Ihrer Figur hinterlässt?

Moretti: Da geht es gar nicht um Freiheiten, sondern um eine Disziplinierung in der Umsetzung, wie man was erzählt. Ich schätze Urs Eggers akribische Arbeitsweise sehr. Beim Drehen arbeitet er wie ein Uhrmacher, ganz minutiös. Das finde ich spannend.

Standard: "Das jüngste Gericht" erarbeiteten Sie gemeinsam?

Moretti: Wir suchten eine Geschichte, fanden aber zwei Jahre keinen Sender. Den deutschen öffentlich-rechtlichen war das Drehbuch zu hart. Mir war es zwischendurch einfach zu schlecht. Die letzte Krise hatte ich einen Monat vor Drehbeginn. Da musste ich sagen: Das geht ja schon überhaupt nicht. Dann haben wir uns bei mir getroffen, daraufhin hat man feuerwehrmäßig reagiert, und zu Drehbeginn war dann noch rechtzeitig ein neues Buch da.

Standard: Was hat Sie gestört?

Moretti: Die Trivialität der Dialoge machte das Ganze uninteressant. Das sieht ein Schauspieler zwar anders als ein Regisseur, der im Kopf schon andere Bögen zusammenmontiert. Aber trotzdem braucht man nicht so eine Geschichte zu erzählen, mit so einem Aufwand, wenn die Dialoge ständig an Fernsehschablonen erinnern. Da kann ich gleich einen "Tatort" machen.

Standard: Welches Problem haben Sie mit dem "Tatort"?

Moretti: Ich habe gute gesehen, aber in der Regel ist es halt eine im besten Fall gute Produktion, erhebt aber nicht den Anspruch, etwas Besonderes zu sein. Es kann etwas Besonderes dabei herauskommen, aber das ist nicht der Anspruch. Wir wollten einen besonderen Film machen, schließlich hat er auch unheimlich viel Geld gekostet, und man leistet sich so ein Cast. Ich möchte selber als Arbeitnehmer für den, der das riskiert, das Beste geben. Scheitern kann man immer auch mit den Quoten, aber dann möchte ich wenigstens für mich wissen, dass es eine gute Arbeit geworden ist.

Standard: Der Kommissar Dorn ist ein getriebener, verschwitzter Querkopf. So schaut einer aus, der auf der Flucht ist. Verbindet ihn das mit dem Serienkiller?

Moretti: Dorn ist auf der Flucht vor seinem Innenleben und gerät dadurch in ein Spannungsfeld zwischen Apathie und Überlebenstrieb. Das ist aber nur die eine Schiene. Die andere ist das Genre, die dritte, dass ihn im Verlauf des Films seine eigene Geschichte einholt. Und schließlich die Interna im Alltagsgefecht im Kommissariat mit den spitzen Kleinbürgerpfeilen, die ein Leben so erschweren.

Standard: Harsche Kritik wird an der Kirche geübt. Ist es tatsächlich so, dass dort, wo das Dasein am dunkelsten ist, die Kirche am präsentesten wird?

Moretti: Das glaube ich nicht, und das ist auch nicht die Message im Film. Es geht um Radikalismen, die in einer Zeit ethischen Vakuums entstehen. Der Mörder interpretiert es für sich so. Auch ein Amokläufer hat für sich selbst eine moralische Message. Er glaubt, er kann etwas durch die Zerstörung gutmachen, trotzdem ist es ein krimineller Akt. Aus dramatischen Gründen wurde der Film in dieser satanistischen Subkultur angesiedelt, dieser Grauzone zwischen Okkultem und rigoristisch-Religiösem. Moralischer Fanatismus und Religion werden immer verwechselt, dabei haben sie eigentlich miteinander nichts zu tun.

Standard: Die Ästhetik des Films ist von US-Vorbildern wie "24" oder "C.S.I." inspiriert. Schnelle Schnitte ...

Moretti: ... die dort manchmal bis zur Penetranz schnell sind. Die rasterhafte Schnittästhetik hat mich Mitte der 90er-Jahre erstmal fasziniert. Mittlerweile ist sie gedankenloser Usus geworden, dem man überall ausgeliefert ist. Das zieht sich bis ins Kinderfernsehen hinein. Mit dieser Atemlosigkeit wird das dramatische Moment des Innehaltens genommen, es braucht aber das Spannungsmoment der Gegensätze. In unserem Film stimmt die Relation, und das Schnitttempo steigert sich mit dem Tempo der Geschichte.

Standard: Sie würden die Ästhetik des "Jüngsten Gerichts" also nicht als Resultat einer globalisierten Filmkultur bezeichnen?

Moretti: Auf keinen Fall, da ist der Egger zu sehr Schweizer.

Standard: In österreichisch-deutschen Produktionen dürfen die Guten noch rauchen.

Moretti: Diese Saubermann-Hysterie ist nicht zum Aushalten. Da ist man in einer Gesellschaft angekommen mit einer erträglichen und funktionierenden Balance aus Regulativen und Selbstverantwortung, und jetzt beginnt dieser pathologische Regulierungsfanatismus und treibt die seltsamsten Blüten, so wie jetzt in Bozen. Oder es heißt, wer raucht, schadet der Volkswirtschaft. Klar verursacht einer Kosten, der extrem ungesund lebt, aber es ist doch alles eine Frage des Maßes und der Selbstdisziplin. Ich mache viel Sport und rauche trotzdem, aber halt in Maßen. Ich kann ja auch ein Glas Wein trinken und muss nicht gleich einen Liter hinunterkübeln.

(Doris Priesching, DER STANDARD/Printausgabe, 12/13.04.2008)