Bild nicht mehr verfügbar.

Der Wahlkampfbus des Linkskandidaten Walter Veltroni wird kaum als Erster durchs Ziel fahren, sagt der führende italienische Demoskop, Renato Mannheimer.

Foto: Reuters/Alessandro Bianchi

Zur Person

Renato Mannheimer (60) ist zwar in Mailand geboren, hält aber eine österreichische Staatsbürgerschaft. Sein Vater kam aus Österreich nach Italien. Mannheimer lehrt Soziologie an der Mailänder Bicocca-Universität, steht dem Sozial-und Meinungsforschungsinstitut Metis vor. Er ist Berater des Staatsfernsehens RAI und der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera".

Der Wahlkampfbus des Linkskandidaten Walter Veltroni wird kaum als Erster durchs Ziel fahren, sagt der führende italienische Demoskop, Renato Mannheimer. Mit ihm sprach Thesy Kness-Bastaroli in Mailand.

***

STANDARD: Der derzeitige Wahlkampf verläuft wenig aggressiv. Warum? Mannheimer: Tatsächlich ist es ein äußerst langweiliger Wahlkampf. Auch weil sich die Programme - abgesehen von Details - mehr oder weniger gleichen. Ich erwarte mir in den kommenden Tagen noch einen letzten "Coup de teatro", wie bei den letzten Wahlen, als Silvio Berlusconi die Abschaffung der Immobiliensteuer versprach. Möglicherweise haben aber beide Kandidaten bereits eine künftige große Koalition im Visier. STANDARD: Was sind in Italien derzeit die wichtigsten Argumente für die Wahlentscheidung. Spielt etwa die Alitalia- Krise eine Rolle? Mannheimer: Offensichtlich spielen derzeit wirtschaftliche Aspekte eine große Rolle. Dabei ist es den Italienern ziemlich gleichgültig, ob die Staatsverschuldung gesenkt wird. Wichtig ist ihnen, dass sie weniger Steuern zahlen. Sowohl Walter Veltroni wie auch Silvio Berlusconi haben Steuersenkungen angekündigt. Auch Preissteigerungen und die Beschäftigungslage spielen eine große Rolle. Das Sicherheitsargument, das noch im letzten Wahlkampf wichtig war, ist in den Hintergrund gerückt. Ich glaube nicht, dass Alitalia den Durchschnittswähler interessiert. ebenso wenig wie die Außenpolitik, die kein Wahlkampfthema ist. STANDARD: Wie hoch liegt der Anteil der Wähler, die noch keine Entscheidung getroffen haben? Mannheimer: 30 Prozent wissen noch nicht, wem sie ihre Stimme geben. Zwei Drittel von ihnen gehen ohnehin nicht zur Abstimmung. Aber zehn Prozent der Wähler sind noch bereit, sich überzeugen zu lassen. Besonders die, die einmal Berlusconi gewählt haben, enttäuscht wurden, dann Prodi wählten - und nach zwei Jahren ohne die versprochenen Reformen wieder enttäuscht sind. STANDARD: Die Wahlbeteiligung ist in Italien relativ hoch. Warum? Mannheimer: In den 50er- und 60er-Jahren war es fast ein Delikt, nicht zu wählen. Es hieß, wähle, was du willst, aber wähle. Von dieser Kultur profitieren die Politiker auch heute noch. STANDARD: Wie wählen die Jungen? Mannheimer: Im Gegensatz zu den vorangegangenen Wahlen gibt es wieder ein reges Interesse der Jugendlichen. Sie suchen nach neuen Werten. Davon werden zweifellos die Christdemokraten der UDC wegen ihrer religiösen Ambitionen, der Arcobaleno (Radikallinke und Grüne, Anm.) und die Lega Nord profitieren. STANDARD: In welchen der beiden Kandidaten haben die Italiener mehr Vertrauen? Mannheimer: Laut unserer Umfrage haben die Wähler mehr Vertrauen zu Walter Veltroni. Er hat seit Beginn des Wahlkampfs bereits acht Punkte aufgeholt. Trotzdem liegt Silvio Berlusconis Bündnis noch um sechs Punkte vorne. Veltroni hat bereits das aufgeholt, was drinnen war. Ich bin kein Hellseher, aber ich glaube nicht, dass er noch einmal wesentlich dazugewinnen kann. STANDARD: Im Ausland fragt man sich, warum die Italiener erneut Berlusconi wählen? Mannheimer: Weil Berlusconi ein exzellenter Marketing-Mann ist. Er erkennt die Bedürfnisse des Marktes, auch des politische Marktes, früher als die anderen und agiert dementsprechend. Ähnlich wie der Getränkemulti Coca-Cola, der den Markt der Schaumgetränke erfand und dominiert, schafft Berlusconi neue Marktbedürfnisse und befriedigt diese durch Rhetorik und Imagewerbung. STANDARD: Sie haben in letzter Zeit auch im Ausland Wahlumfragen gemacht. Wo liegen die Unterschiede? Mannheimer: Im Einfluss der Kirche. Dieser ist in Italien nach wie vor übermäßig hoch. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.4.2008)