Die Autorin.

Foto: DER STANDARD/Cremer
"Es ist wie alles andere. Es kann gelernt werden. Die Lilli hat das Sterben gelernt wie eine Fremdsprache. Sie hat das gemacht wie alles andere auch. Begabt und mit Einsatz. Wir sind ja alle Musterschülerinnen geworden. Wir erfolgreichen Frauen. Wir machen ja alles so. Begabt und mit Einsatz".

In ihrer neuen Prosa lässt Marlene Streeruwitz eine Frau auf der Heimfahrt vom Begräbnis ihrer besten Freundin gedanklich monologisieren. Wie sie war, die Lilli. Nach außen erfolgreich auf allen Ebenen. Im Beruf, als Ehefrau und Mutter aufrecht, immer aufrecht, bis zum Schluss. Und für das Innen der Ausgleich zum geforderten folgsamen Angepasstsein: kleine Exzesse, viele Männergeschichten. Und sie fragt sich, ob das ein Doppelleben war. Jedenfalls ist sie die einzige, die die Wahrheit kennt über die Lilli. Die einzige, die weiß, was für eine leidenschaftliche, lebenshungrige, wüste Frau sie gewesen ist. Sie hatte ja immer die Alibis geliefert, als Freundin, mit der die Lilli angeblich kleine Reisen gemacht hat. "Frauen unter sich, hieß das dann...".

Und dann die Selbstvorwürfe nach dem Tod der Freundin: Was hatte sie alles falsch gemacht oder unterlassen? Wo sie doch zuletzt, zuallerletzt nicht da gewesen ist. Darin hatte sie versagt, sagte sie sich. Und ebenso in der Fürsorglichkeit: "Ich hätte ihr das mit dem Rauchen und dem Trinken und wahrscheinlich auch das mit den Männern. Das hätte ich nicht fördern dürfen."

Und nun war die Lilli schon sechs Stunden unter der Erde. Dabei hatten sie ausgemacht, gemeinsam alt zu werden: "Wir wollten diese weichen Altfrauenpatscherln anhaben und mit dem Stock die Zivildiener im Altersheim herumschicken. Und dann keine Diäten machen. Nicht mehr über die Figur reden müssen. Und von den Verkäuferinnen in den Innenstadtboutiquen diesen Blick bekommen. Größe 42. Nein. In dieser Größe führen wir dieses Modell nicht mehr...". Rührend, mit scharfem Blick und in dichter Sprache schreibt Marlene Streeruwitz über das Leben und Sterben einer Frau, nicht ohne dieses Schicksal in den fragwürdigen Konnex normativer Normalität einzubettten. Sehr zu empfehlen! (dabu/ dieStandard.at 08.04.2008)